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Wie man Deutschlands bestes Sektgut aufbaut

Steffen und Sophie Christmann sowie Mathieu Kauffmann sind drei der angesagtesten Weinmacher Deutschlands. Nun haben sie sich zusammengetan, um mit einem neuen Schaumwein die Champagne herauszufordern. Ein Lehrstück in fünf Akten.

Sven Prange 13.06.2024 - 18.00 Uhr

















Ein Keller ist halt ein Keller. Ein Loch im Boden, kein Licht, dafür Luftfeuchtigkeit. Mehr nicht. Und dann steht man in diesem Keller hier, unter dem Zentrum von Neustadt an der Weinstraße in der Pfalz und lernt, was so ein Keller alles können kann. Etwa die Temperatur halten, die Luftfeuchtigkeit verändern, alles, was man braucht, um einen flüssigen Schatz zu beherbergen. Ein Keller ist eben doch nicht immer nur ein Keller, sondern manchmal auch ein Statement.

Mathieu Kauffmann sowie Sophie und Steffen Christmann. Foto: Lucie Greiner

In diesem Fall ist es das Statement von Sophie Christmann, ihrem Vater Steffen und Mathieu Kauffmann. Sie verfügen seit einiger Zeit über die Schlüssel zu diesem Keller, die sie nicht nur in diese dunklen Räumlichkeiten bringen, sondern auch in ein großes Abenteuer. Denn geht auf, was hier seit vielen Monaten gärt, würde Deutschlands bisher deutlichste Antwort auf einen Verkaufsschlager der französischen Luxusindustrie gelingen.

Das liegt an den drei handelnden Personen.

Und ihrem Plan.

Die drei handelnden Personen, das sind: Sophie Christmann, Winzerin in neunter Generation, eines der größten Talente des deutschen Weinwesens. Steffen Christmann, Winzer in achter Generation und seit Jahren Präsident des prestigeträchtigen Verbands der Prädikatsweingüter (VdP). Und Mathieu Kauffmann, ehemaliger Kellerchef beim Champagnerhaus Bollinger.

Der Plan: aus dem Nichts ein Sektgut aufbauen, das es mit den berühmtesten Produzenten französischer Schaumweine aufnehmen kann. „Was die in der Champagne machen, kann man hier in der Pfalz auch machen“, sagt Kauffmann, der selbst aus Frankreich stammt.

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Und doch ist das nicht ganz einfach: In der Champagne produzieren sie seit Jahrhunderten Schaumweine, die die ganze Welt trinken möchte. In Deutschland trinken die Menschen zwar so viel Schaumwein wie in keinem anderen Land. Aber auch so günstigen Schaumwein wie sonst nirgendwo.

Massenproduzenten wie Rotkäppchen oder Geldermann beherrschen den Markt, hinzu kommen günstige Schaumweine aus Italien (Prosecco) und Spanien (Cava). Während deutsche Spitzenweine in den vergangenen Jahren solche Exportschlager wurden, dass sich zeitweise sogar Donald Trump mit Strafzöllen an ihnen abarbeitete, ist das beim Schaumwein ausgeblieben.

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Und der Einstieg in den Markt ist schwierig. Es braucht spezielles Know-how; wer gute Weine erzeugen kann, ist noch längst kein guter Sekterzeuger. Und es braucht Geduld und damit Geld. Bis ein hochwertiger Schaumwein marktreif ist, vergehen mitunter vier oder fünf Jahre.

Wer in dem Geschäft als Neuling Erfolg haben will, steht also vor enormen Eintrittsbarrieren, obwohl der Markt überschaubar attraktiv ist. Wenn es drei so anerkannte Weinmacher jetzt aber doch versuchen – wie machen sie das?

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... oder: Nimm nur das Beste

















Steffen und Sophie Christmann sind ein bemerkenswertes Gespann. Er, der leutselige Verbandsfunktionär, seit Jahren eine Größe der Branche. Sie, die entschlossene Jungwinzerin mit genauen Vorstellungen, wohin sie den jahrhundertealten Familienbetrieb führen will.

Und das hieß nach ihrem Einstieg eigentlich: Fokus. Unnötiges wegschneiden, sich stattdessen auf das konzentrieren, was den Betrieb bekannt gemacht hat: hochwertige Riesling-Weißweine und Spätburgunder-Rotweine (die günstigste Flasche ab etwa 18 Euro).

Sekt war dieser Fokussierung schon früh zum Opfer gefallen. „Einfach weil wir gemerkt haben, dass wir ihn selbst nicht getrunken haben“, sagt Steffen Christmann.

Doch dann kam dieser Tag im Sommer 2019. „Irgendwann rief Steffen an und sagte: Ihr glaubt nicht, was mir passiert ist – die Nachbarn wollen uns ihre Flächen verpachten“, erzählt Sophie. Tatsächlich ging es eine sehr bekannten Lage.

Eine ,Once-in-a-Liftetime'-Chance.

... nennt Steffen Christmann das. Und ein Dilemma: „Wir wollten eigentlich den Betrieb verkleinern.“

Und so kam Mathieu Kauffmann ins Spiel. Als er einst vom Champagnerhaus Bollinger nach Deutschland wechselte, war das eine Sensation. Für eine Unternehmerfamilie sollte er Deutschlands Antwort auf die Champagne formen. Der Plan ging schief, und Kauffmann war 2019, wie man so sagt, auf dem Markt.

Dem Trio war aber auch klar: Wenn diese beiden Namen etwas zusammen versuchen, dann muss es auch etwas Neues sein. So entstand eine Idee, die in der Größenordnung seit Jahrzehnten niemand mehr gewagt hatte: Wir gründen ein neues Sektgut. „Und zwar so, dass unsere Wettbewerber eher nicht andere Sekthersteller sind, sondern Champagner“, wie Sophie Christmann sagt.

Gärung

... oder: Wie eine Idee ausreift

















Nun ist es nicht so, dass es bisher keine Versuche in Deutschland gegeben hätte, hochwertigen Schaumwein zu erzeugen. Am weitesten gekommen ist da sicherlich Volker Raumland aus Rheinhessen, aber auch das Sekthaus Griesel & Compagnie an der Hessischen Bergstraße oder zuletzt das Sekthaus Krack aus der Pfalz. All diese Häuser erzeugen Sekte, die Champagner möglichst detailgetreu kopieren wollen.

Das Pfälzer Trio will es mit dem französischen Schaumwein aufnehmen, ohne ihn zu kopieren. Was am deutlichsten daran zu erkennen ist, dass sie zwei Drittel ihres Schaumweins aus Riesling herstellen. Auf die Idee käme in Frankreich niemand, dort nimmt man die deutlich harmonischeren Burgundersorten und ihre Verwandten.

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„Dabei mochten wir vorher Rieslingsekt gar nicht so gerne“, sagt Steffen Christmann. Doch nicht nur sein Compagnon Kauffmann hat ihn vom Gegenteil überzeugt, sondern ein genauerer Blick auf die Erfolgsgeheimnisse der Konkurrenz aus der Champagne: Dort stellt man Schaumweine aus solchen Trauben her, die perfekt zu der Region passen. Will man das auf Deutschland übertragen, heißt das: Der Schaumwein entsteht aus Riesling.

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Das zeigt auch, welche Ambitionen sie hier haben. Riesling-Sekt ist in Deutschland ein Exot, viele Durchschnittskonsumenten stören sich an den charakterstarken Tropfen. „Im Ausland ist Riesling aus Deutschland ein eigenständiges Produkt“, sagt Steffen Christmann. Und so haben sie sich für das polarisierende Produkt entschieden. Aber eben auch für die Aussicht, es weltweit anbieten zu können.

Tirage

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„Hochwertig, biodynamisch, terroir-fokussiert“, Sophie Christmann kann in sehr wenigen Worten erklären, was sie da eigentlich machen wollen. Der Wein soll also die Gegebenheiten der Erde und des Klimas der Region widerspiegeln „Also das, was wir auf dem Weingut ohnehin schon machen, in Schaumwein umgesetzt.“

Nur, dass sie dafür viele Dinge neu lernen müssen. Denn ein wesentliches Merkmal der Schaumweinerzeugung, vor allem der aufwändigen Flaschengärung wie bei Christmann und Kauffmann, ist, dass sie kaum Gemeinsamkeiten mit der Weinerzeugung hat.

Das ist vor allem für die zwei Christmanns interessant. Bei Weinen gelten sie für viele in der Branche als Fixpunkt. Dass jemand wie sie noch mal das Handwerk neu lernt, ist nicht oft der Fall.

Es sind so scheinbar kleine Details, die sie hier neu angehen. Normalerweise etwa lesen Winzerinnen und Winzer ihre Trauben – wenn sie das überhaupt noch händisch machen – in großen Kisten, werfen alles auf Anhänger und transportieren es ab, um aus den Trauben Saft zu pressen.

Beim Sekt nehmen sie nun kleine Boxen, in die höchstens acht Kilo Trauben passen, und transportieren diese einzeln zur Pressung. So entsteht kein Druck auf unten liegende Trauben, diese bleiben intakt, und der Wein bekommt keine Bitternoten.

Es gebe Dutzende dieser Details, mit denen sie hier versuchen, einen Unterschied zu machen. „Du lernst, auf dem weißen Blatt eine Strategie zu entwickeln“, sagt Sophie Christmann. „So frei sind wir natürlich im Weingut nicht.“

Zweite Gärung

... oder: Begegne dem Markt selbstbewusst















Wer Winzer trifft, begegnet oft faszinierenden Menschen, die mit all ihren Fasern lieben, was sie tun. Das ist bei Steffen und Sophie Christmann und Mathieu Kauffmann auch so. Hier kommt aber noch hinzu, dass sie ihre Prozesse auch betriebswirtschaftlich bis ins Letzte durchdrungen haben.

Da ist etwa die Sache mit dem Preis. „Wir dachten am Anfang, dass wir auch einen Sekt in der Preisspanne von 14 bis 18 Euro brauchen, um die Gastronomie zu versorgen“, sagt Sophie Christmann. Schließlich muss der Gastronom noch aufschlagen, in der Regel das Drei-bis 3,7-Fache – und wer bestellt im Restaurant schon einen Sekt für mehr als 80 Euro?

Wir hatten schon Angst vor den Preispunkten für deutschen Sekt.

Steffen Christmann

Schließlich muss sich der enorme Aufwand, den sie hier betreiben, irgendwie auch im Preis wiederfinden. Den Gedanken an den günstigen Einstiegssekt haben sie deswegen wieder verworfen.

Bisher ist die Idee vom deutschen Super-Sekt eine betriebswirtschaftliche Wette. Zwar hat sich das Trio im vergangenen Jahr entschlossen, erstmals 14.000 Flaschen in den Verkauf zu bringen. Aber so richtig ist der Verkauf des ersten Jahrgangs erst in diesen Wochen gestartet.

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Das heißt: Bisher liefen ausschließlich Kosten auf. Zwar sagt Sophie Christmann. „Bilanziell ist das gar nicht so ein Desaster, das Sektgut ist schlank aufgestellt“, sagt Sophie. Aber klar ist auch: Ohne das schon bestehende Weingut als Sicherheit im Rücken wäre ein solches Investment nicht zu stemmen. Auch wenn die hauseigene Bank angesichts des Renommees der Gründer die Finanzierung eher leicht gestaltete. „In fünf Jahren sind wir jetzt ohne externe Investoren in die absolute Spitze gewachsen“, sagt Sophie Christmann.

Degorgieren

... oder: So bringst du das Produkt zu Ende















Und dass sie da angekommen sind, das lässt sich schon nach dem ersten Probejahrgang festhalten. Ob Sommeliers oder Gastronomen – der Sekt des Trios wird hochgelobt. „Ein neues Kapitel des Sekts“, findet etwa die international wohl anerkannteste Weinkritikerin Jancis Robinson.

Am Ziel ist hier aber noch niemand. Das Ganze soll nicht ins Uferlose gehen, aber gut 90.000 Flaschen pro Jahr wollen sie doch verkaufen. „Wenn man das richtig seriös machen will, muss es groß genug sein, damit sich die nötige Infrastruktur lohnt, aber noch so klein, dass man handwerklich arbeiten kann“, sagt Kauffmann.

Die Flaschen werden in 25 Länder exportiert. Der nächste Jahrgang ist bereits im Markt.

Derzeit überlegen sie, ein eigenes Gebäude für den Sektbetrieb zu bauen. Fünf bis acht Millionen Euro zusätzlich würde das wohl kosten. Dabei geht es um mehr als nur um das Gebäude. Nur mit einem solchen dürfen Winzer „Sektgut“ auf die Flaschen schreiben, ohne Gebäude ist es nach der Logik des strengen deutschen Weinrechts lediglich ein Abfüller, keine Maison, wie die großen Marken in der Champagne es sind. Und den Anspruch, auf Augenhöhe zu sein, hat das Trio.

Text: Sven Prange, Redigatur: Thorsten Firlus, Storytelling: Agatha Kremplewski

Bildnachweise Hintergrundbilder (in dieser Reihenfolge): Lucie Greiner (1, 3 Querformat, 5, 6 Querformat), Fabian Pellegrini (2, 4), Benjamin Leonberger (3 Hochformat), PR (6 Hochformat)

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