Jedes Jahr sinkt die Zahl der Milchviehbetriebe. Weniger Kühe, weniger Milch, teurere Butter, könnte man schlussfolgern. Aber so einfach ist es nicht. Der hohe Butterpreis ist auch eine Verlustrechnung – im schlimmsten Fall für uns alle.
Heinz-Hermann Franzens Weg führte schon immer auf den Hof. Den Hof Franzen, den sein Vater mit 40 Kühen einst zum größten der Umgebung machte. Den Milchviehbetrieb, den der Sohn und damit der automatische Nachfolger noch größer machen wollte. „Aber ich habe auch nichts anderes gewollt“, sagt Franzen.
Heute, 50 Jahre später, hat Franzen 60 Kühe und vier Kinder, darunter einen Sohn, der die „Ära Franzen“, wie Heinz-Hermann Franzen sagt, hätte fortführen können. Der neue Kuhstall, eine schätzungsweise 1,2-Millionen-Euro-Investition, war schon in der Genehmigungsphase. Die Anzahl der Kühe hätten sie so verdoppeln können.
Dann aber verlor der Sohn das Interesse am Landwirtdasein. Die drei anderen Kinder sahen sich auch nicht als Nachfolger. „Ihnen fehlte das Feuer“, sagt Franzen.
Landwirt Franzen. Foto: Annika Keilen
Der Hof blieb bei 60 Kühen und dem alten Stall, den Franzen nur ungern vorführt, weil er nicht mehr in der Liga der modernen Ställe mitspielt. Aber warum sollte er auch? Ihn, der praktisch als Landwirt geboren wurde, hält nur noch ein Gedanke vom Ruhestand ab: „Die Ära Franzen. Sie wäre dann vorbei.“
Eine Ära oder 60 Kühe weniger – was ist das schon bei einer Gesamtzahl von 3,7 Millionen Kühen in Deutschland? Es wäre wohl bedeutungslos – würde das Ende der Ära Franzen nicht auch für eine ganze Reihe von Schließungen stehen, die sich gerade in vielen Teilen der Bundesrepublik ereignen.
Als „Höfesterben“ wird das beschrieben, was sich seit Jahren zeigt. Die Zahl der Milchviehbetriebe sinkt stetig. Allein von 2020 bis 2023 sank sie laut Statistischem Bundesamt um
Auch die Zahl der Milchkühe sank, um vier Prozent.
Deutschland ist der größte Kuhmilchproduzent der Europäischen Union. Die Hälfte der deutschen Fläche wird landwirtschaftlich genutzt. Kühe und Milchviehbetriebe prägen ganze Landstriche, wie etwa im Emsland, wo auch der Hof Franzen wirtschaftet. Kaffee, Reis und selbst Äpfel werden heute schon importiert. Bei Milchprodukten wäre das noch unvorstellbar. Aber was bleibt, wenn all die Höfe verschwinden?
Erst mal ein hoher Butterpreis, könnte meinen, wer die Medienberichte der vergangenen Wochen verfolgt hat. Warum die Butter so teuer ist wie nie zuvor, titelte etwa die „Tagesschau“. Immer wieder werden in diesem Zusammenhang auch Zahlen zum Höfesterben genannt. Weniger Betriebe, weniger Kühe, weniger Milch, teurere Butter, könnte man daraus schlussfolgern.
Doch so ganz stimmt diese Logik nicht. Aber dazu später mehr.
Kapitel 1: Mehr als 250 Gramm Fett
Im November 2021 kosteten 250 Gramm Markenbutter im Einzelhandel 1,65 Euro, so die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). Heute, drei Jahre später, werden schon 2,39 Euro fällig.
Auch andere Lebensmittel werden teurer. Doch Butter ist ein sogenannter Eckpreisartikel, also ein Standardprodukt, das mit seiner 250-Gramm-Form leicht zu vergleichen ist. Teuerungen fallen da beim Einkauf besonders auf, insbesondere wenn es sich um ein traditionell verankertes Produkt handelt. So deutsch das Abendbrot, so deutsch auch die Butterstulle.
Nur: So nachvollziehbar und vergleichbar der Preis im Handel für den Endverbraucher ist, so schwer ist nachzuvollziehen, wie der Preis überhaupt zustande kommt und wieso er überhaupt so teuer werden konnte wie aktuell.
Selbst Landwirt Franzen, der mit seiner Milch die Grundlage für Butter schafft, weiß nicht so richtig, wieso der Butterpreis aktuell so hoch ist.
Franzen vor seinem Stall. Foto: Annika Keilen
Er spricht von „volatilen“ Märkten und macht sich gleichermaßen über das Wort lustig. Was heißt schon volatil für einen, der am Verhalten seiner Kuh erkennt, ob sie krank ist, der weiß, dass Kühe Lebewesen sind, die je nach Wetter mehr oder weniger Milch geben und die praktisch von Natur aus volatil sind – so wie Menschen ja auch.
Und so ist dieser Text auch einer über die Vermessung der Kuh. Oder anders gesagt: über den Preis, den wir zahlen, wenn Landwirte nicht einfach nur Landwirte sein können.
Wenn sie zum Politikum werden, weil die großen Fragen, wie wir als Gesellschaft leben und konsumieren wollen, am Ende über ihre Existenz entscheiden. Wenn Landwirte als Teil eines Weltmarkts wirtschaften müssen, ihr Geschäftsmodell sich aber nach sehr ursprünglichen Dingen richtet: Lebewesen.
Kapitel 2: Wie der Buttermilchpreis zustande kommt
Wenn Franzen wissen will, ob alles läuft, geht er in den Stall vor den Milchroboter. „Nicht der Neueste“, kommentiert er. Aber auch das ältere Modell zapft zuverlässig vor sich hin.
Die nächste Kuh steht schon in der Schlange und wartet auf ihren Einsatz. Die Kühe werden durch besonders gut schmeckendes Futter zum Melkroboter gelockt – Franzen vergleicht es mit Süßigkeiten für Kinder.
Franzens Melkroboter. Foto: Annika Keilen
Franzens Milch fließt an die Molkerei Deutsche Milchkontor (DMK). In den Molkereien wird die Milch haltbar gemacht, weiterverarbeitet, verpackt. Dabei fallen etwa Energiekosten an, die in den Butterpreis eingepreist werden.
Dazu kommt ein klassisches Angebot-und-Nachfrage-Verhalten: Wird der Molkerei sehr wenig Milch geliefert, sind die Preise für Molkereiprodukte in der Regel teurer.
So war es auch in diesem Jahr: Die Milchanlieferungen seien seit Juni rückläufig, was saisonbedingt erst mal normal sei, heißt es von der DMK. Im Sommer geben Kühe aufgrund des warmen Wetters weniger Milch. Dazu sei jedoch der Fettgehalt seit Jahresbeginn sehr niedrig gewesen. Fallen Futterernten etwa von Mais durch Dürre- oder Regenperioden schlechter aus, hat das Einfluss auf die Futterzusammensetzung, was etwa zu einem geringeren Fettgehalt führt, erklärt die DMK.
Zur Butterherstellung braucht eine Molkerei für die Handelsklasse „Deutsche Markenbutter“ einen Milchfettgehalt von mindestens 82 Prozent. Je nach Fettgehalt der Milch muss also mehr oder weniger Milch verarbeitet werden.
Das wiederum ist für Molkereien ungünstig. Seit einigen Jahren essen die Deutschen nämlich besonders gern und viel Käse.
Eine Käseliebe, auf die Molkereien reagieren. „Das hat viel Milchfett gebunden und damit die Produktion von Butter gedämpft“, heißt es von der DMK. Fett, das für die Butter fehlt, sodass diese knapper wird – und die Preise steigen.
Bis hierhin ist der Butterpreis eine so deutsche Angelegenheit wie das Abendbrot. Nur lässt sich die Butter nicht vom Weltmarkt abkapseln. Deutschland könne sich zwar vollständig selbst versorgen, exportiere aber zusätzlich ins Ausland, sagt der Agrarökonom Holger Thiele von der Fachhochschule Kiel und Vorstand des Instituts für Ernährung und Ernährungswirtschaft (Ife).
Auch andere Länder ziehen also Milchmenge vom Markt. Wenn die Rohmilchmenge und Butter international knapp sind, führt das insgesamt zu hohen Preisen.
„Preise, an denen sich die Molkereien auch orientieren würden, wenn sie dem Lebensmitteleinzelhandel Angebote über ihren Verkaufspreis machten, sagt Thiele.
Eine international schwache Milchmenge führt also zu international hohen Preisen und damit auch zu einem höheren Butterpreis in Deutschland.
Kapitel 3: Hoher Preis und trotzdem kaum Freunde
Butterpreis, das klingt so, als wäre er das Ergebnis eines ganz einfachen Marktgeschehens. Der Markt regelt, Kosten werden genaustens kalkuliert, am Ende wird ein Preis aus Angebot und Nachfrage bestimmt. Und doch ist der gesamte Milchmarkt kompliziert – sagt selbst die DMK.
Die DMK beispielsweise ist eine genossenschaftlich organisierte Molkerei und befindet sich im Eigentum der Landwirte. Gleichzeitig ist sie ein Konzern, der Vertriebler anstellt, um den Milchpreis zu verhandeln.
Die Butter ist nur ein Artikel von vielen, macht nur einen kleinen Teil des Gesamtportfolios aus, daneben liefert die DMK etwa Milch für Produkte wie Schokoriegel und Fertigpizza, aus denen sich der an die Bauern ausgezahlte Milchpreis zusammensetzt.
Tiefkühlpizza. Foto: Imago/Sven Simon
Selbst wenn also der Butterpreis steigt, hat das nicht unbedingt direkte Auswirkungen auf den Milchpreis, den der Landwirt erhält.
Und weil die Märkte so kompliziert sind, hat die eine ganze Liste an Informationskanälen von digitaler Plattform bis Regionalversammlungen zusammengestellt, die Landwirte über das Marktgestehen informieren. Doch sie zu verstehen, braucht Zeit.
Vielleicht sagt Franzen, der ja immerhin als Landwirt der Ursprung aller Butter ist, deswegen:
Diese Märkte sind für mich nicht durchschaubar.
Immerhin kann er auf der Abrechnung feststellen, dass das Preisniveau allgemein „ordentlich“ sei.
„Wir zahlen aktuell im August einen Leistungspreis von 49,1 Cent pro Kilogramm Milch aus – das sind gegenüber dem Jahresbeginn rund zehn Cent pro Kilogramm Milch mehr“, heißt es von der Molkerei DMK. Die hohen Preise gebe die Molkerei an die Bauern weiter.
Eigentlich ein Grund zur Freude für die Landwirte. Nur weil der Preis so „volatil“ ist, weil er nicht nur davon abhängt, ob Landwirte oder deren Kühe einen guten Job machen, sondern weil Witterung, Weltmarkt und der Wunsch nach Käse einen oft viel größeren Einfluss auf die Preise haben, scheint die Preiserhöhung Landwirte wie Franzen nur kurzfristig zu freuen.
„Ich nehme den Preis natürlich gern mit, freue mich vor allem auch für die Kollegen, die noch investieren wollen. Ich traue dem Preis aber langfristig nicht.“
Und wie soll sich einer auch langfristig freuen, den eigentlich Grundsätzliches stört? Dass er als Unternehmer tätig ist, hohe Risiken tragen muss, aber sowohl bei politischen Entscheidungen als auch beim Preis kaum mit Verlässlichkeit rechnen kann. Und dann ist da noch die Arbeitsbelastung, die nicht im Verhältnis zum Ertrag als Unternehmer steht – trotz Melkroboter.
Kapitel 4: Die Kuh kriegt ihr Fett weg
Früher wurden Kühe zwei Mal am Tag gemolken: morgens und abends. Eine Arbeit, die immer häufiger der Roboter übernimmt. Effizienter und öfter. Heinz-Hermann Franzens Kühe melkt die Maschine bis zu drei Mal am Tag.
Eine gute Entwicklung für den Landwirt. Er hat weniger Arbeit mit dem Melken, gleichzeitig steigt seine Milchmenge. Da er nach Menge bezahlt wird, rechnet sich sein Melkroboter. Die Folge: Mit der gesteigerten Effizienz stieg über Jahre hinweg die produzierte Milchmenge.
Allerdings sinkt durch die Automatisierung und das immer häufigere Melken auch der Fettgehalt. Zusätzlich könnte ein strukturärmeres Grundfutter zu Fettgehaltsabsenkungen führen, sagt Agrarökonom Thiele.
„Früher dachten wir, es gebe einen Trend zu fettarmen Milchprodukten, der das hätte ausgleichen können.“ Doch dem sei nicht so.
Die Leute essen genauso viel Butter wie früher.
In Deutschland sei mit der zunehmenden Bevölkerungszahl der Butterverbrauch sogar gestiegen. Auch dadurch ist die Butter teurer.
Um die Milchmenge zu steigern, wurde aber nicht nur das Melken optimiert. Die Kuh selbst sollte auch besser performen, Kühe wurden auf Milchleistung gezüchtet. In den 1950er-Jahren gab eine Kuh etwa 2500 Kilo Milch. Dieser Wert hat sich heute mehr als verdreifacht auf:
Kilogramm
Dazu kam die Tendenz zu Großbetrieben, etwas, das Franzen „wachsen oder weichen“ nennt. Entweder ein Betrieb vergrößert sich, oder er muss schließen. 1995 hatte ein Betrieb durchschnittlich 27 Tiere. Heute hat er 74.4.
All das konnte über etwas hinwegtäuschen, das Landwirte schon lange anprangern: die sinkende Anzahl an Höfen und damit an Familienbetrieben.
Zwar habe das Höfesterben keinen direkten Einfluss auf die Milchproduktion, heißt es vom Milchindustrie-Verband. Doch „in den letzten Jahrzehnten hat der Zuchtfortschritt die gesunkene Anzahl an Kühen ausgleichen können. Das Wachstum der Vergangenheit in der Milchmenge sehen wir allerdings gerade nicht mehr.“
Das System Landwirtschaft und mit ihm die Kuh wurde jahrelang auf Höchstleistung getrimmt. Das hat Folgen. Schon jetzt ist die Leistung der Kuh auf einen wesentlich kürzeren Lebensabschnitt reduziert. Theoretisch kann eine Kuh 20 Jahre alt werden. Aktuell lebt sie durchschnittlich fünf Jahre.
Kapitel 5: Der Preis der Hochleistungskuh