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Von der Beilage zum Star auf dem Teller: Warum die Pommes boomt

Eigentlich, scheint es, werden die Menschen immer ernährungsbewusster. Der Pommeskonsum erreicht jedoch Jahr für Jahr neue Höchstwerte. Auf Pommes spezialisierte Schnellrestaurant-Ketten wie Pommesfreunde oder Frittenwerk eröffnen eine Filiale nach der anderen und motzen die schnöde Pommes auf. Was ist da los?

Annika Keilen 09.08.2024 - 15.00 Uhr

München. Als Sebastian Petz sein Produkt auf den Markt brachte, waren schon Tausende andere vor ihm da. Da waren Giganten wie McDonaldʼs oder Burger King sowie unzählige kleine Imbissbuden. Für Petz alles Konkurrenten. Er schaffte es trotzdem, in den Markt einzusteigen und mit Öl und Kartoffeln Umsätze in Millionenhöhe zu machen. Sebastian Petz ist der Gründer von Pommesfreunde.

Mittlerweile gibt es sie an 50 Standorten. In diesem Jahr sollen noch sechs weitere dazukommen. Alle eint dasselbe Erfolgsrezept: Petz beförderte die Pommes von ihrer Beilagenposition ins Zentrum. Burger, Hamburger und Currywurst sind die „Freunde“ der Pommes. Nicht andersherum. Dazu kommt ein für Petz praktischer Nebeneffekt: Er verkauft ein ohnehin erfolgreiches Produkt.









Der Pommesboom

„Höchster Verbrauch von Pommes und Co. seit 1990“, meldete die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für das Jahr 2023. Sie wertete den Konsum von Kartoffelerzeugnissen aus, zu denen Pommes, aber eben auch Produkte wie Kartoffelsalat oder Chips gehören. Im Vergleich zum Vorjahr habe sich der Konsum pro Kopf pro Jahr um 2 Kilo auf 37,9 Kilo erhöht.

Doch die Pommes gehört allein betrachtet. Was ihren Boom aber wieder nur bestätigt.

Den Pommeskonsum unterteilt das Tiefkühlinstitut in Lebensmittelhandel (darunter etwa Discounter) und Großverbraucher wie die Gastronomie. In beiden Sparten stieg der Pommeskonsum an. Wobei die meisten Pommes noch immer zu Hause gegessen werden. Im vergangenen Jahr verkaufte der Lebensmittelhandel 206.033 Tonnen Pommes, die Gastronomie 160.938 Tonnen.

In der Sparte der Schnellrestaurants sind laut Foodservice die mit Abstand umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland McDonaldʼs und Burger King. Zwar verkaufen die beiden Fast-Food-Ketten viele Burger, aber eben auch Unmengen an Pommes. Meist als Beilage. Pommesfreunde sind dem Ranking zufolge erst auf Platz 35. Hinter vielen alteingesessenen Ketten wie Five Guys, KFC oder Kochlöffel. Der Pommeskonsum geht also nicht auf eine einzelne Pommeskette zurück, sondern verteilt sich auf viele Haushalte und Fast-Food-Ketten. Erstaunlich ist jedoch, dass all diese Ketten Pommes als Beilage verstehen und die Pommes als Randdarsteller einfach in Massen mitgegessen werden.

Pommesfreunde, die zwar nicht nur Pommes anbieten, aber sie ins Zentrum rückten, hatten von 2022 zu 2023 ein Umsatzwachstum von etwa 45 Prozent. Deutlich stärker als McDonald’s, Burger King oder Kochlöffel.

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Aber wie kann die Pommes über Jahre so erfolgreich sein, jetzt sogar noch erfolgreicher werden und dabei jedem noch so relevant erscheinenden Ernährungstrend trotzen? Denn es ist ja so: Zunehmend wollen Leute individueller essen. Manche wollen weniger fett essen, manche gluteinfrei, andere vegan oder mit weniger Kohlehydraten. Doch egal, was gerade ernährungstechnisch angesagt ist: Die Pommes stellt immer wieder einen neuen Konsumrekord auf. So sehr, dass manche sie durch Saucen aufmotzen und mit den Pommes skalierbare Geschäftsmodelle entwickeln und an ihnen Millionen verdienen.

















Vom Edel- restaurant ins Frittenbusiness

Sebastian Petz sieht nicht aus, als habe er gerade Pommes frittiert. Er sitzt mit zurückgegelten Haaren, hellblauem Hemd und einer Rolex auf der Terrasse eines seiner „Stores“. So nennt er die Pommesläden. Er muss nicht mehr frittieren, ist als Geschäftsmann für das große Ganze verantwortlich. Das war nicht immer so.

Sebastian Petz hätte nicht gedacht, dass er mal eine Pommesladenkette eröffnen würde. Foto: Annika Keilen

Petz studierte Betriebswirtschaft, wobei er mehr in der Gastronomie arbeitete, als dass er studierte, sagt er. Er kellnerte etwa in schicken Lokalen, in denen es Wein und Filet Mignon gab. Einmal leitete er sogar ein Restaurant. Zum Ende seines Studiums war klar: Petz will sein eigenes französisches Restaurant eröffnen. Das Konzept stand, doch knapp vor Eröffnung platzte der Mietvertrag. Kurz war er traurig, sagt Petz. Aber nur kurz.

Zufällig las Sebastian Petz in der „Süddeutschen Zeitung“ über Hermann Weiffenbach. Petz war beeindruckt vom Gründer der Enchilada-Unternehmensgruppe, eine Gastro-Gruppe, die verschiedene Restaurants als Franchisemodell anbietet und sich inzwischen Concept Family Franchise AG nennt. So verkaufen sie beispielsweise Lizenzen für das Betreiben von Restaurantketten wie Aposto oder Burgerheart. Bis 2021 gehörte die Salat- und Sandwichkette Dean & David zu ihnen.

Concept-Family-Gründer Weiffenbach beeindruckte Sebastian Petz so sehr, dass er diesem einen Brief schrieb. In dem stellte Petz sich vor und schrieb, dass er nach neuen Herausforderungen suche, erzählt Petz rückblickend. Weiffenbach habe ihn sofort angerufen, erzählt Petz. Von der Idee des eigenen Restaurants riet Weiffenbach ab. Ein einzelnes Restaurant sei langweilig, er solle lieber größer denken. In Richtung Systemgastronomie. Also in Richtung eines standardisierten und zentral gesteuerten Gastro-Konzepts, das sich einfach vermehren lässt.

Nur kurz hat Petz gezweifelt.

Ich habe mich eher bei Filet Mignon und Rotwein und nicht in der Pommes- und Burgerecke gesehen.

Sebastian Petz

Petz machte eine Marktanalyse, schaute, für welche Angebote es noch Platz in der Franchise-Gastronomie gab. Für Pommes war noch Platz. Es gab zwar Tausende Imbissbuden, doch die größte Kette hatte zehn Läden, erinnert sich Petz. Die Idee, sich auf Pommes zu konzentrieren, kam ihm bei einem Besuch einer Freundin in den Niederlanden. Dort hatten sie schon Pommes aus frischen Kartoffeln mit einem Saucenangebot, das über Ketchup und Mayo hinausreicht.

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Sebastian Petz startete mit einem kleinen „Store“ im Untergeschoss des Münchner U-Bahnhofs Stachus. Anfangs hätten viele sein Konzept einer Pommeskette angezweifelt. Schließlich gab es Konkurrenten wie McDonaldʼs. Noch dazu in unmittelbarer Nähe. Deutschlands umsatzstärkster McDonaldʼs befindet sich nur eine Etage über Sebastian Petzʼ erstem Store.

Pommesfreunde-Story in München. Foto: Annika Keilen

Dazu wussten sie nicht, wie viele Pommes sie brauchen würden oder wie die Küchenplanung konkret aussehen musste. Petz und seine beiden Mitarbeiter stießen ständig zusammen. „Der erste Tag war Chaos pur“, sagt Petz. Heute würden sie die Laufwege animieren.

Doch es lief trotzdem und Petz frittierte eine Pommes nach der anderen und so vergaß er das Filet Mignon. Und McDonaldʼs in klein will er auch gar nicht sein. Er setzte auf bessere Qualität der Produkte, indem er zum Beispiel frische Kartoffeln zu Pommes verarbeitet.











Das steckt hinter dem Pommesboom

Für Petz ist es außerdem praktisch, dass er Pommes vegan, glutenfrei und halal anbieten kann. Sie sind es bei ihm automatisch. Damit liegt er genau im Trend: Laut dem von Nutrition Hub und dem Bundeszentrum für Ernährung erstellten Trendreport Ernährung 2023 sei pflanzenbetonte Ernährung einer der Haupt-Ernährungstrends. Nicht komplett vegan oder vegetarisch, sondern flexitarisch.

Diesen Trend beschreibt auch das Zukunftsinstitut, das für Organisationen Trendanalysen erstellt. Hinter vielen solcher Trends stecke ein Treiber: Individualisierung. „Individualisierung bedeutet die Freiheit zur Wahl.“ Mit der Pommes muss man nicht wählen, sie vereint viele Essenspräferenzen.

Petz weitere Produkte sind Hot Dog, Currywurst oder Burger. Die bietet er halal oder vegetarisch an. Aber auch mit Fleisch. Er will Vielfalt bieten, deswegen käme die Kundschaft zu Pommesfreunde.

Den Höhenflug der Pommes führt die Ernährungsforscherin Hanni Rützler darauf zurück, dass gute, knusprige Pommes ein Genuss seien, der für Lebensfreunde steht. Menschen können sich wegen der Inflation weniger leisten. Die Pommes seien „ein preisgünstiger Klassiker“. Am Essen können Menschen im Vergleich zu vielen anderen Dingen einfacher sparen. Das tun die Leute. „In Deutschland besonders“, sagt Rützler.

Dazu kommt, dass Pommes sich schnell zubereiten und essen ließen. Passend für den stressigen Alltag vieler Menschen. Im Vergleich dazu müsse die zwar auch günstige, aber eher geschmacksneutrale Speisekartoffel viel zeitintensiver zubereitet werden. Außerdem fehlten viele Leuten auch der passende Lagerraum im kühlen und dunklen Keller, sagt Rützler. Alles Gründe, warum die Speisekartoffel im Gegensatz zur Pommes immer weniger gegessen würde.

Branchenkenner Axel Weber, der bei der Soda Group Gastro-Unternehmen berät, hat noch eine andere Erklärung: Durch das Upgrade zur Vollmahlzeit über Beilagen, aufwendigere Zutaten oder Saucen zu den Pommes hätten Konzepte wie Pommesfreunde oder die Konkurrenzkette Frittenwerk Pommes einen Schub gegeben.

Und weil Pommes vegetarisch oder auch vegan funktionieren, würde die Kundschaft sie als vermeintlich gesünder wahrnehmen, so Weber. „Ketten wie Pommesfreunde oder Frittenwerk gelten als eine Alternative zum herkömmlichen McDonaldʼs.“ Damit hätten sie schon mal Vorteile gegenüber stark fleischgetriebenen Fast-Food-Angeboten wie Döner oder Burger.

Die Kundschaft suche nach Produkten, mit denen sie für überschaubares Geld satt würde. Ein guter „Value for Money“ nennt Weber das. „Das ist aber nicht die Klientel, die eine Kürbissuppe mit einem Saft verzehrt“, sagt Weber.

Dieser Value for Money mache laut Weber den gesamten Quickservicebereich der Systemgastronomie– also Schnellrestaurantketten mit Thekenverkauf, zu denen auch Pommesfreunde gehört – erfolgreich. Er wird aufgrund der Teuerungen für viele Kunden sogar noch wichtiger werden. Im Quickservicebereich sind Abläufe und Konzepte optimiert, Personal aufs Minimum reduziert. Das Essen ist folglich deutlich günstiger als in klassischen Restaurants oder auch Restaurantketten.

Besser, dass Sebastian Petz nicht sein französisches Restaurant eröffnet hat, weiß der Geschäftsmann mittlerweile selbst. Vor allem wenn er die Umsätze seiner Pommesfreunde wachsen sieht.

Viele, die sich bei Sebastian Petz meldeten, kämen aus der Gastronomie und hätten keine Lust mehr auf den Stress, der sich oft nicht mal finanziell lohnen würde. „Ein Gastwirt will Gastwirt sein“, sagt Petz, „wir nehmen ihm Einkauf, die Angebotsgestaltung, die Kalkulation ab.“

Für einzelne Restaurantinhaber sei es viel schwieriger, mit steigenden Preisen umzugehen. Ein Gastwirt kaufe im Großhandel nach Bedarf ein und wisse oft erst am Ende des Jahres, ob sich das gerechnet hat oder nicht, sagt Petz. Gastronomen könnten sich schließlich nicht tagtäglich mit Wareneinsätzen und deren Kalkulation auseinandersetzen. „Dafür haben wir eine ganze Abteilung, die nichts anderes macht.“

Mehr: McDonald’s, Subway und Co.: Wie große Ketten kleine Restaurants verdrängen

Typisch für ein Franchisekonzept: Mehr standardisierte Prozesse, aber auch weniger Individualisierung, die Petz mit seinem französischen Restaurant hätte erreichen können. Und er hätte wahrscheinlich weniger Geld verdient.

Aber Petz ist gern Geschäftsmann und so ist er auch stolz auf sein Angebot bei Pommesfreunde.

Er selbst isst aber keine Pommes beim Treffen im Münchener Pommesfreunde-Store. Er habe vor dem Treffen etwas von Pommesfreunde bestellt, sagt er.

Redigatur: Sven Prange, Storytelling: Agatha Kremplewski, Digitales Design und Illustrationen: Julius Brauckmann, Infografik: Juraj Rosenberger, Fotos: Annika Keilen

Bildquellen: Getty, HB Montage

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