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Gastronomie

Vom Gasthof zum Mittelständler mit Sterneküche – das Geheimnis der Tressbrüder

Die Tressbrüder sind junge Männer, als ihr Vater stirbt – und ein kleines Gasthaus hinterlässt. Heute führen sie einen Mittelständler, der von der Suppen- bis zur Sterneküche alles anbietet.

19.04.2024 - 15.00 Uhr

Hayingen.

Die vier Brüder, um die es hier gehen soll, brauchen exakt 16 Autominuten, um ihren bisherigen Lebensweg zu vermessen. 16 Minuten sind es zwischen dem Erbe ihres Vaters, der ihnen so plötzlich die Verantwortung für sein Lebenswerk überließ, und dem, was die vier daraus gemacht haben.

16 Minuten, um von einem klassischen schwäbischen Landgasthaus über ein Sternerestaurant zu einer gläsernen Produktionshalle zu kommen, in der es schnauft und dampft und aus großen Bottichen Suppen und Currys in bunte Schachteln strömen, bis zu 28.000 Mal am Tag. Doch um diese drei Punkte miteinander zu verbinden, brauchten die vier Brüder auf ihrem Lebensweg mehr als 16 Minuten – nämlich 16 Jahre, einen sehr besonderen Zusammenhalt und einen Schicksalsschlag.

Das ist die Geschichte der Brüder Daniel, Simon, Christian und Dominik Tress

Daniel, der gelernte Koch und heutige Hotelmanager. Simon, der zweitälteste, ebenfalls gelernter Koch und heute als Sternekoch das kulinarische Aushängeschild der Brüder. Christian, der als Steuerberater ausbildungstechnisch ganz andere Wege ging, und der Jüngste, Dominik, der über eine Banklehre doch auch im Unternehmen seiner Brüder landete.

Vier junge Männer, die aus einem Landgasthof in Hayingen, eine Stunde südlich von Stuttgart, einen echten schwäbischen Mittelständler geformt haben. Und die wirtschaftlich wachsen mussten, um als Geschwister auch Geschäftspartner zu werden.

So ist es eben, wenn nicht der Ausbildungsweg, eine Idee oder Druck der Eltern in ein Unternehmerleben führen – sondern das Schicksal. Ihr Vater starb unerwartet, hinterließ einen Dorfgasthof. Zu viel, um sich nicht drum zu kümmern. Zu wenig, als dass davon auf Dauer seine Frau und die Familien seiner vier Söhne hätten leben können.

„Wir haben eben kein Unternehmen geerbt, sondern es selbst auf die richtige Größe ausgebaut“, sagt Simon. „Wir sind als Familienunternehmen aus vielen Problemen, die andere haben, herausgewachsen.“ Heute besitzen die vier Brüder und ihre Mutter eine Holding, die aus zwei Bereichen besteht: einer Gastronomie- und einer Convenience-Sparte.

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Prozent

wird das Unternehmen der Tressbrüder in diesem Jahr wohl wachsen.

Dabei gab es keine Vorkehrungen, die geregelt hätten, wer im Unternehmen das Sagen hat. Genauso wenig wie eine Regel, welcher Bruder sich nach dem Tod des Vaters wie ins Unternehmen einbringen könnte. „Natürlich war nach dem Tod nicht jeder Tag Sonnenschein“, sagt Daniel Tress. „Auch weil es ein Entscheidungsvakuum gab.“

Doch wer die vier über die Jahre beobachtet, mit ihnen und ihrem Umfeld spricht, erkennt drei Regeln, mit denen sie ein florierendes Unternehmen schufen.

1. Die Familie steht über dem Betrieb











Wer die Brüder heute nach ihrer Jugend fragt, der bekommt zwei Dinge geschildert: zum einen, wie fordernd die Mitarbeit im elterlichen Betrieb war. Zum anderen, wie sehr ihr Vater Wert darauf legte, dass seine Söhne auch die Welt außerhalb des Betriebs kennenlernten.

„Der Betrieb hat immer eine wesentliche Rolle gespielt“, sagt Daniel. 

Wir haben in der Jugend noch das Getreide schroten müssen für das Schweinefutter.

Daniel Tress, Unternehmer

Und dennoch gab es da immer wieder die Ausflüchte vom Land in die etwas weitere Welt. „Der Vater ist dann auch mal Dienstagnachmittags mit uns zum Training des VfB Stuttgart gefahren“, erzählt Christian Tress. Er wollte seinen Söhnen in der manchmal beengten Welt der Schwäbischen Alb keine engen Grenzen setzen.

„Das hat eine Bindung geschaffen, durch die wir immer wieder nach Hause gekommen sind“, sagt Christian. Wer heute mit den vier jungen Männern spricht, hört noch immer die Begeisterung für den Vater heraus. Echte Vätersöhne, erzählen sie, seien sie gewesen.

Der aber von früher Jugend an auch eine klare Reihenfolge festgelegt hat: Schaffen ist wichtig. Aber über dem steht die Familie.

Die Tressbrüder mit ihrern Partnerinnen und ihrer Mutter (links). Foto: Tressbrüder

„Die Energie hier kommt wirklich aus der Liebe unter uns Brüdern zueinander“, sagt Simon Tress. „Wir lieben uns.“ Streit? „Vielleicht mal einen halben Tag“, sagt Simon. „Einen viertel“, korrigiert Dominik lachend.

Dabei wirkt das Quartett kein bisschen kitschig. Wenn sie von Liebe reden, ist jenes Gefühl gemeint, das aus dem christlichen Glauben heraus die Beziehung zu den Nächsten kennzeichnet. Wie überhaupt aus allem, was sie hier anfassen, die tiefe Verwurzelung im Christentum zu spüren ist.

Es ist kein aufgesetzter Glaube, sondern tatsächlich jener authentische Protestantismus, der in dieser Gegend südlich von Stuttgart noch an vielen Stellen lebt. Und der sich durch Bescheidenheit und einen absoluten pietistischen Arbeitseifer auszeichnet.

Tatsächlich ist das wohl auch die Kraft, aus der heraus die Brüder den Verlust des Vaters bewältigt haben. Denn der hatte eigentlich andere Vorstellungen.

Nur Daniel und Simon, die deswegen beide eine Kochausbildung machten, sollten ins Familienunternehmen einsteigen. Sie sollten das Familienerbe fortsetzen, das vor allem der Großvater schon mit seinem Bekenntnis zu biodynamischer Landwirtschaft begründete. Und das ihr Vater dann mit seiner konsequenten Ausrichtung des Gasthofs auf biologische Küche ausbaute.

Schon Opa Tress legte Wert auf Bio. Foto: Tressbrüder

Die beiden jüngeren Brüder dagegen wurden zu Bankausbildung und Studium geschickt. Dass sie sich nach dem Tod des Vaters dann doch zu viert zusammengetan haben? „Zu viert ist es eben einfacher als allein“, sagt Daniel.

So haben sie in den vergangenen 16 Jahren so ziemlich alles durchgezogen. Selbst ihre privaten Wohnhäuser haben sie nebeneinander gebaut. In Sichtweite des Stammhauses.

Ein Konstrukt, das nur funktioniert, weil sich jeder mal zurücknimmt. „Du kannst hier nicht bei jeder Meinungsverschiedenheit mit Mehrheitsentscheidung drohen“, sagt Simon. Dabei hilft es auch, den anderen etwas zu gönnen. Etwa wenn der ältere Daniel über Simon witzelt: „Es war irgendwann eindeutig, dass er ein ganz klein bisschen besser kocht als ich und ich ihm deswegen die Küche überlasse.“

„Es ist immer klar“, sagt Christian, „dass das Unternehmen laufen muss. Aber die Familie steht an erster Stelle.“ Und Dominik ergänzt: „Wir werden sicher nicht wegen betrieblicher Kleinigkeiten die Familie riskieren.“

2. Stellt das Unternehmen breit auf, aber zieht klare Grenzen









Der Kern des Unternehmens steht am Rande eines schwäbischen Weilers: ein Restaurant mit einem Parkplatz hinterm Haus. Gegenüber ein Gästehaus mit einem halben Dutzend Zimmer. Es ist ein Idyll hier in Hayingen, aber eben eine sehr begrenzte Welt. Auch ökonomisch.

Zudem das Gastronomiegeschäft hier auf gut 1000 Meter Höhe in der Bergwelt der Schwäbischen Alb schwankt: Im Sommer ist es voll, im Winter oft sehr leer. So entstand die erste Erweiterungsidee: Convenience-Suppen für den Biohandel. „Wir haben die Suppen gestartet, weil wir eine Cateringküche hatten, die in der Woche nicht ausgelastet war und im Winter schon gar nicht“, sagt Dominik.

Zu dem Zeitpunkt waren vor allem Daniel und Simon, die beiden Köche, im Unternehmen aktiv. Als klar war, dass die Suppen mehr als eine Winterüberbrückungsstrategie sein könnten, stieg Dominik ein. Als Verantwortlicher für die Convenience-Produktion. Erst war die Chance da und dann ein Bruder, der sie annehmen wollte.

Dominik Tress verwaltet die Produktion der Bio-Suppen. Foto: Tressbrüder

So haben sie es seitdem mit all ihren Aktivitäten gehalten. „Jeder hat sich seinen Raum entwickelt und hat sich darin wiedergefunden“, sagt Dominik.

So haben sie in den vergangenen Monaten auch ihren vierten Bruder endgültig an Bord geholt. Christian, den Steuerberater. „Es braucht ja auch genug Geschäftsfelder, dass ich mich hier finanziere“, sagt er. Schließlich macht so ein Steuerberater allein noch keinen Umsatz.

Also haben alle Brüder so viel gerödelt, bis auch für den vierten Platz war. „Und jetzt sind es so viele Projekte, dass ich meine Kanzlei aufgeben und hier voll einstiegen kann“, sagt Christian. Auf dem Unternehmenslogo ist er ohnehin schon länger abgebildet. Es gibt einen Tressbruder eben selten ohne die anderen drei.

Dabei ist ihnen ein Grundprinzip wichtig: Jeder macht nur das, was zu ihm passt. Das hält das Glück hoch und die Qualität der Arbeit ebenfalls.

„Es muss sich hier niemand verstellen“, sagt Daniel Tress. So entstehen auch klare Zuständigkeiten: Simon ist der Chefkoch, Daniel betreut die Gastbetriebe, Dominik die Convenience-Produktion und das Marketing, Christian Finanzen und Personal. „Wenn wir alle vier um den Herd herumgestanden hätten, wäre das anders ausgegangen“, sagt Christian Tress.

Nun ist es nicht so, dass sich da vier Jungs den ganzen Tag selbst verwirklichen. Zum einen müssen sich ihre Ideen rechnen. Selbst wenn der zweitälteste Simon seine Kochkarriere mit einem Stern krönen will, darf das nicht reine Ego-Show sein.

Spitzenkoch Simon Tress. Foto: Tressbrüder

So bezieht er nun an vier Abenden jede Woche seinen Platz für jeweils gut vier Stunden hinter einer offenen Küchenzeile in seinem Restaurant 1950 und begrüßt seine Gäste: „Willkommen in meinem Wohnzimmer!“ 

Tatsächlich hat sich der Spitzenkoch Simon Tress hier selbst verwirklicht. Kocht eine brutal lokale Küche mit biologischen Zutaten, von denen keine außer dem Salz mehr als 25 Kilometer hertransportiert wird. Und dennoch ist das keine Ego-Show, sondern ein weiterer Stein im Unternehmensnetzwerk der Brüder.

Mehr: Toan Nguyen: „Du musst dich doppelt so sehr anstrengen wie die Deutschen“

Teile der Sachen, die hier entstehen, gehen wieder in andere Geschäftszweige: Gemüsestaub, der es so aus der Sterneküche ins Convenience-Geschäft schafft, Küchentechniken, die auch an anderer Stelle sinnvoll sind.

Es ist dieses typisch handfest schwäbische Schafferwesen, das diesen Kosmos hier ausmacht: An allen Ecken und Enden wird optimiert, bis jeder Prozess sitzt.

3. Setzt klare Regeln für die Zusammenarbeit













Die Zukunft bei den Tressbrüdern ist steril. Die Hände werden desinfiziert, die Schuhe bekommen Überzieher, die Haare ein Netz. Ab durch eine Hygieneschleuse, und schon zischt und dampft es an allen Ecken. Über Laufbänder flitzen bunte Kartons, aus einem großen Kessel riecht es nach Karottensuppe.

Einen zweistelligen Millionenbetrag haben die Brüder in eine neue Suppenproduktion investiert. Für das Unternehmen endgültig der Sprung zum Mittelständler mit 90 Beschäftigten.

80 Prozent der Produktion gehen mittlerweile in den konventionellen Lebensmittelhandel, der Bio-Lebensmittel anbieten will. Neuerdings etwa an dm oder Aldi Süd.

Mit ihrer Suppenproduktion haben sich die Tressbrüder zu mittelständischen Unternehmern gewandelt. Foto: Tressbrüder

Ein Berater, der die Branche seit Jahren beobachtet, sagt: „Als sie vor einigen Jahren alle ihre Aktivitäten unter die Marke Tressbrüder gestellt haben, dachte ich: Wie soll das gut gehen, dass die Kunden sie sowohl als Sternegastronomie wie auch als Mikrowellensuppe ernst nehmen?“ Heute sagt er: „Bisher haben sie es hingekriegt, weil sie skandalfrei sind und ein Arbeitsethos haben, das sie glaubwürdig macht.“

Und dennoch ist es ein beständiges Austarieren.

Wir haben uns immer Restriktionen gesetzt.

Daniel Tress, Unternehmer

„Wir haben nie gesagt, wir brauchen noch dringend eine Aufgabe, um größer zu werden.“ Und Dominik ergänzt: „Mit jeder neuen Größendimension musst du ja auch erst mal wieder klarkommen.“

Die Convenience-Sparte ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker gewachsen als die Gastronomie. Steuert heute schon 70 Prozent zum Umsatz bei. Die Gastronomie ist aber der Kern des familiären Geschäfts. Sie soll nicht in den Hintergrund treten.

Auch deswegen werden Wachstumsideen auf beide Sparten verteilt. Seitdem die Suppenproduktion etwa in der neuen Fabrik stattfindet, werkelt die Gastrosparte in den alten Produktionsräumen an einem Konzept, um Betriebskantinen zu beliefern. „Uns schwebt eine Art Hellofresh für Unternehmen vor“, sagt Simon.

Damit ist auch klar: Die Welt der Tressbrüder soll wachsen. 

Damit neben dem Betrieblichen auch das Menschliche intakt bleibt, gibt es vierteljährliche Treffen mit einem Coach. „Da geht es aber eher ums Familiäre, nicht ums Geschäftliche“, sagt Daniel. Das alles auch mit der Perspektive, irgendwann die nächste Generation besser auf das Unternehmen vorbereiten zu können, als es bei ihnen selbst der Fall war. Wobei sie ganz so weit dann doch noch nicht sind: „Brüderziel ist, dass wir mit 80 noch eine gemeinsame Gesellschafterversammlung abhalten können.“

Text: Sven Prange; Redigatur: Teresa Stiens; Storytelling: Agatha Kremplewski

Bildnachweis: Alle Fotos stammen von den Tressbrüdern.

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