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Keine Windkraft vor meiner Haustür!



16.02.2024 - 10:00 Uhr

Fährt man durch Burghausen, eine Stadt zwischen München, Passau und Salzburg, fällt eine ungewöhnliche Dreiteilung auf. Da ist die Altstadt, da ist die Neustadt und dann ist da Wacker Chemie. Deren Gelände allein ist mit 2,6 Quadratkilometern größer als das Fürstentum Monaco. Vor allem aber ist es größer als fast jeder andere Industriestandort in Deutschland.

8000 Menschen arbeiten dort auf dem Gelände, fast halb so viele, wie die Stadt Einwohner hat. Quasi eine Stadt in der Stadt, einer der wichtigsten Produktionsstandorte für Polysilizium weltweit.

Der Rohstoff ist zentral für Halbleiter und Solarpanels. Wichtig also für die grüne, smarte Transformation, die jetzt alle immer fordern. Polysilizium ist aber auch ein ziemlicher Energieschlucker. Drei Terawattstunden Strom pro Jahr verbraucht das Wacker-Werk, 0,7 Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs. Und damit fangen die Probleme an.

Bayern ist auf Windenergie angewiesen

Denn wer viel Strom verbraucht, benötigt auch günstigen Strom. Den gibt es in Bayern immer weniger. Nicht nur, weil im vergangenen April Bayerns letztes Atomkraftwerk vom Netz ging – schon seit 2012 sinkt die Stromproduktion im Freistaat.

Da kam die Planung des größten Windparks Bayerns gerade recht. 40 Windanlagen wollen die Politik und das Unternehmen Qair errichten. Jede höher als 200 Meter. Direkt im Chemiedreieck.

Dieser Windpark könnte zweierlei: günstigen Strom erschaffen, der wiederum die 8000 Arbeitsplätze bei Wacker sichert. Und er könnte ein Zeichen setzen, dass es in Deutschland mit der Energiewende noch was wird.

Ein Projekt des Zeitgeists also. Nur hat der Zeitgeist nicht mit einem entscheidenden Hindernis gerechnet: dem Widerwillen der Bürger, eine Wende hin zu günstigem und grünem Strom zu ermöglichen. Selbst dann nicht, wenn dieser grüne Strom die eigenen Jobs sichern könnte.

Bürger stimmen gegen Windräder

Ein Viertel der Windräder sollte in der 2500-Einwohner-Gemeinde Mehring stehen. Und deren Bürger stimmten Ende Januar per Bürgerentscheid gegen das Projekt. Eine Bürgerinitiative „Gegenwind Altötting“ hatte mit Flyern und Plakaten Stimmung gegen den Windpark gemacht, die „Süddeutsche“ vermutete einen AfD-Stadt- und -Kreisrat aus dem benachbarten Altötting hinter der Kampagne.

Neben Mehring sind sechs weitere Gemeinden an dem Windpark beteiligt. Und zumindest in dreien davon könnte es weitere Bürgerentscheide geben. Fallen auch die negativ aus, stünde Bayerns Windpark als Großprojekt immer mehr vor dem Aus.

Was heißt das für Deutschlands Zukunft als Industriestandort, wenn die Leute beim Bau neuer Windräder selbst mit Blick auf die Zukunft ihrer eigenen Arbeitsplätze nicht mitziehen?

Nichts Gutes, befürchtet Erwin Schneider (CSU). Er ist Landrat des Kreises Altötting und repräsentiert qua Amt die Gemeinden um den geplanten Windpark.

Dass die Mehrheit der Mehringer gegen das Projekt stimmt, hat er kommen sehen. Denn klar, in Bayern gilt Windkraft vielen als optische Einbuße. Dazu hat Schneiders CSU allerdings auch einiges beigetragen.

Seit Ende 2022 hat die CSU-geführte Staatsregierung zwar die Voraussetzungen für Windräder im Land nach Jahren des Widerstands versucht zu verbessern. Doch laut dem Bundesverband Windenergie gehörte Bayern auch im vergangenen Jahr noch zu den Schlusslichtern Deutschlands beim Ausbau der Windkraft.

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Auch Erwin Schneider war lange gegen Windkraft in Bayern und änderte seinen Kurs erst mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Als man grünen Strom auf einmal als Ersatz für Energielieferungen aus Russland brauchte.

Nur haben viele Bürger diesen plötzlichen Pro-Wind-Kurswechsel offenbar nicht mitbekommen. Erwin Schneider sorgt sich nach dem verlorenen Bürgerentscheid deshalb um seinen Landkreis als Industriestandort, der die Chemieunternehmen als Arbeitgeber so sehr braucht. „Es ist schon ein Tritt der lokalen Bevölkerung in den Hintern unseres Chemiestandorts.“

Erwin Schneider (CSU, Mitte) gemeinsam mit Markus Söder (CSU) und Thorsten Glauber (Freie Wähler). Foto: dpa

Wie Wacker nun weitermachen will

Ob Peter von Zumbusch diesen Tritt in den Hintern spürt? Der Werksleiter von Wacker in Burghausen sitzt in einem hellgelben Altbauhäuschen auf dem weitläufigen Gelände. Klar, Strom würde man auch anderweitig bekommen, relativiert er. „Aber das Signal ist fatal für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für Bayerns Pläne zur Windenergie.“

An den Klimazielen des Unternehmens – klimaneutral bis 2045 – hält er fest. Schon weil sie hier von jeher Wert auf Öko-Strom gelegt haben. Mitten durch das Gelände fließt der Alzkanal, Wackers „Lebensader“, wie sie ihn auf der Website nennen. Seit 100 Jahren erzeugt Wacker mit dem Kanal Strom über ein eigenes Wasserkraftwerk. Allerdings reicht Wackers Öko-Lebensader nur für zehn Prozent des eigenen Stromverbrauchs.

Der Standort Burghausen, beruhigt von Zumbusch, sei durch einen Entscheid gegen Windkraft nicht direkt in Gefahr.

Wir haben ein sehr hohes Commitment zu Burghausen.

Peter von Zumbusch

Andererseits kann sich auch Zumbusch den Gesetzmäßigkeiten der Branche nicht entziehen. Und die braucht neben grünem vor allem günstigen Strom. Seitdem es den in Deutschland nicht mehr gibt, zieht sich die Chemieindustrie schleichend aus dem Land zurück.

Insgesamt hat Handelsblatt-Berechnungen zufolge die Chemieindustrie in Deutschland innerhalb von zwei Jahren knapp ein Viertel ihrer Produktionsmenge verloren. Grund dafür seien die schwache Konjunktur und die Energiepreise.

Deutschland liegt bei den Strompreisen an der Weltspitze

Tatsächlich liegt Deutschland laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft beim Industriestrompreis zwar im EU-Durchschnitt, im Vergleich zu China oder den USA ist der Strompreis allerdings mehr als doppelt so hoch.

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Auch Wacker-Mann von Zumbusch sagt: Wichtig sei schon auch die Entwicklung des Strompreises. Und da kommt dann doch wieder der Windpark ins Spiel: Denn jede zusätzliche Kilowattstunde Grünstrom in Bayern oder Deutschland erhöhe das Stromangebot und helfe, die hohen Strompreise zu senken. Konsequenzen für den Standort Burghausen „wären dann gegeben, wenn der Strompreis sich nicht in die richtige Richtung entwickelt“, sagt von Zumbusch.

Ihn ärgern nicht die Bürger und Bürgerinnen, die gegen die Windanlagen gestimmt haben. Nicht seine Mitarbeiter, die gegen das Projekt sind. Ihn ärgert, dass die bayerische Politik die Bürgerinteressen so einbezieht. „Da wird das Gemeinwohl den Partikularinteressen untergeordnet“, kritisiert von Zumbusch. „Was ist denn das für ein Demokratieverständnis?“

Die Frage richtet sich wohl vor allem an Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Der hätte das ganze Chaos wohl verhindern können, und zwar in seiner Funktion als Aufsichtsratschef der Bayerischen Staatsforsten.

Denn in jenen Forsten gilt die Regel, dass jedes Windprojekt der Zustimmung der Standortgemeinde bedarf. Es sei denn, der Aufsichtsrat hebelt diese Regel aus – dafür hätte jemand aus dem Gremium die Initiative ergreifen müssen. Zum Beispiel der Vorsitzende Aiwanger.

Hat er aber nicht. Will er auch nicht. „Wir brauchen Regelungen der möglichst starken Bürgerbeteiligung, ohne allerdings alle Vorhaben zu blockieren“, sagt der Minister. Im Klartext: Er will nichts ändern. Stattdessen wolle er in den nächsten Wochen mit jeder Kommune im Landkreis Altötting Lösungen suchen.

Ein erstes Gespräch nach dem Bürgerentscheid in Mehring fand bereits statt, mit der Initiative Gegenwind. Eine Einigung gibt es hier schon mal nicht.

Die Abhängigkeit der Kommunen von der Industrie

Wenn Aiwanger die Dinge vor Ort nicht schnell beruhigt, droht auch Wolfgang Beier (CSU), Bürgermeister der Gemeinde Haiming, ein Bürgerentscheid. Er sitzt in einem gepflegten, hellen Rathaus, zeigt einmal um sich und sagt:

Die Gemeinde, das Rathaus lebt auch von der Chemieindustrie, das können Sie nicht ohne Steuereinnahmen leisten.

Wolfgang Beier (CSU)

Nur vom Tourismus werde sich Haiming nicht ernähren können.

Damals, bei seiner Wiederwahl 2020, war sein wichtigstes Anliegen für die Amtszeit der Erhalt der Arbeitsplätze im Chemiedreieck. Die Leute dürften nicht vergessen, was hier in der Vergangenheit für Wohlstand gesorgt habe. „Das war immer die Energie.“

Heute, nach der Entscheidung in Mehring, hat er das Gefühl, dass den Menschen die Arbeitsplätze nicht ganz so wichtig sind. „Das war eine Entscheidung gegen die Zukunft.“

Ob er beunruhigt ist? In der Industrie sei man zwar gewohnt, wenn der Plan A nicht geht, auf Plan B umzusatteln. „Doch irgendwann ist auch da mal aus.“

Aus ist es für Wacker-Mann von Zumbusch noch nicht. „Für mich ist das Entscheidende jetzt, wie die Politik mit den Konsequenzen der Entscheidung umgeht.“ Würden in Bayern jetzt gar keine Windanlagen mehr gebaut werden, „dann wird das einen verheerenden Dominoeffekt haben“.

Doch noch ist von Zumbusch optimistisch, sagt er, die Politik wolle ja. Eins aber macht von Zumbusch auch klar: Der Druck auf die Politik, diesen Willen auch durchzusetzen, wird steigen. Denn Wacker braucht – Bürgerentscheid hin, Bürgerentscheid her – künftig auf keinen Fall weniger Strom. Sondern eher mehr.

Mehr: Wie abhängig ist Deutschland von Stromimporten?

Text: Annika Keilen; Redigatur: Sven Prange; Storytelling: Agatha Kremplewski; Grafiken: Hendrik Wünsche; Bildredaktion: Stefan Hirsch und Iris Zielinski

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