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Greyhound in der Krise? Wie ein US-Mythos sich neu erfinden muss

Die Greyhound-Busse gehören zum Inventar der USA. Doch wo früher Road-Romantik herrschte, prägt heute Tristesse das Bild.

Der Marke droht ein schleichender Niedergang, doch ein deutscher Investor hat große Pläne.

San Francisco. Wer in den USA mit den legendären Intercitybussen von Greyhound reisen wollte, den empfing über viele Jahre schon an den Haltepunkten ein angenehmer Komfort. Die Orte waren beleuchtet und oft auch beheizt. Wartende fanden dort ein Dach über dem Kopf, Toiletten. Und an mancher Haltestelle gab es gar einen Kaffee.

Wer dagegen heute mit Greyhound fahren will, hat schon Glück, wenn überhaupt ein billiges Plastikschild auf einen Haltepunkt hinweist. Wind und Wetter sind Wartende ungeschützt ausgesetzt. Sitzplätze gibt es kaum noch, geschweige denn einen Service. Kommt der Bus dann angerauscht, öffnet der Fahrer nur noch Tür und Gepäckfach. Wie Passagiere ihre Sachen dort hineinbekommen? Ihre Sache.

Wer in den USA Fernbus fahren will, braucht starke Nerven

Das liegt vor allem am schleichenden Niedergang einer nationalen Ikone: Greyhound, seit mehr als 100 Jahren der Inbegriff für Freiheit und Abenteuerlust, steckt in der Krise. Es ist ja nicht nur die schlechte Infrastruktur. Die Passagierzahlen sinken seit Jahren. Eisenbahn, Automobil und Billigflieger haben den silbernen Bussen über die Jahrzehnte immer mehr Passagiere abgeworben. Stück für Stück. Aber so ist einiges zusammengekommen.

Noch 14 Millionen Fahrgäste fuhren 2021 Greyhound. Das ist weit weniger als die Hälfte zu besten Zeiten. Rufe wurden laut, Greyhound zu verstaatlichen, so wie die Passagier-Eisenbahnen unter dem Dach der Amtrak gebündelt wurden. Doch so kam es nicht.

Stattdessen hat ein deutsches Unternehmen die amerikanische Ikone übernommen: Flix. Das einstige Start-up, das mit seinen grünen Bussen und Zügen weltweit das Reisegeschäft kapern will. Flix betreibt seitdem seine Busse und die Greyhounds parallel in den USA. Laut Flix stiegen die Fahrgastzahlen in Nordamerika (USA, Kanada und Mexiko) im vergangenen Jahr um 36 Prozent. Das sind allerdings kombinierte Daten für beide Marken: Flixbus und Greyhound.

Das Unternehmen versichert auf Anfrage aber, Greyhound im Rahmen seiner Low Asset-Strategie als Marke weiter ausbauen zu wollen. Demnach würde das Unternehmen in den USA mehr Fahrten anbieten, allerdings ohne die Busse selbst zu betreiben. Das ist das Modell, mit dem Flix bereits in Deutschland groß wurde.

Ausschließlich für Greyhound gibt es keine Daten mehr. Aber in der Realität lassen sich folgende Entwicklungen beobachten: Linien verschwinden schon seit Jahren aus dem Angebot, Orte werden nicht mehr angefahren, Haltepunkte an Immobilieninvestoren verkauft.

„Erschreckend“, nennt Joseph Schwieterman, Professor an der DePaul-Universität, im Gespräch mit dem US-Sender CNN den Zustand. Und dieses Urteil fällt umso deutlicher aus, wenn man sich die lange, glorreiche Geschichte des Unternehmens ansieht.

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Die romantischen Anfänge













Es war der schwedische Einwanderer Carl Earl Wickman, der 1913 in Minnesota die erste amerikanische Buslinie gegründet hatte, die durch Zukäufe schnell wuchs. Busse im heutigen Sinn gab es da noch gar nicht. Die Fahrzeuge waren zersägte und verlängerte Studebaker-Limousinen. Sie boten sieben Sitzplätze, die dann mit bis zu 18 Passagieren vollgepfercht wurden. Zunächst wurden nur Minenarbeiter für 15 Cent zu ihren Arbeitsplätzen gefahren und zurück.

Und doch war es ein lukratives Geschäft. Ende des Ersten Weltkriegs waren es 18 Fahrzeuge, die 40.000 Dollar Profit im Jahr einfuhren. Aber erst eine wirtschaftliche Katastrophe brachte dem mittlerweile in Greyhound umfirmierten Unternehmen den Durchbruch. Die große Depression in den 1930er-Jahren ließ viele Menschen zwangsweise auf die lärmenden, aber billigen Busse zurückgreifen. Greyhound boomte.

Auch die chronisch untermotorisierten Busse wurden besser. An besonders starken Steigungen mussten die Passagiere nicht mehr aussteigen und den Bus mit vereinten Kräften selbst raufschieben – wie zuvor oft in San Francisco. Busfahren wurde zunehmend normal. Im Zweiten Weltkrieg übernahmen erstmals Frauen, und das in großer Zahl, das Steuer.

Medial erreichten die Fernbusse 1934 mit dem romantischen Hollywood-Blockbuster „It happened One Night“ mit Claudette Colbert und Clark Gable in den Hauptrollen ihren Zenit. Eine junge Millionärserbin flüchtet Hals über Kopf ohne Geld in der Tasche vor ihrem Vater, der sie mit einem ungeliebten Mann verheiraten will. Auf der Busfahrt nach New York lernt sie ihre neue Liebe kennen.

Die Botschaft des mit fünf Oscars prämierten Films war klar: Busreisen sind nicht nervig und langweilig, sondern prickelnd und überraschend. An diese Zeiten erinnert ein Imagefilm aus dem Jahr 1953, in dem sich zwei junge Busreisende auf dem Trip quer durch die USA jeden Tag näherkommen, Canyons und Nationalparks zusammen erleben und am Ende Arm in Arm aussteigen.

Fortan entstand ein florierendes Touristengeschäft. Das Greyhound-Reisebüro stellte Reiserouten zusammen, buchte Übernachtungen, an Busstopps ließ sich gut essen, und an beliebten Reisezielen blieb man einfach mal eine Nacht. Nicht nur ausländische Touristen haben die USA mit dem Bus entdeckt, Generationen amerikanischer Teenager lernten die unendlichen Weiten ihres Landes mit dem Rucksack per Greyhound kennen.

Der Beginn der Krise















Schon 1956 zeichnete sich ab, dass die Zukunft für Greyhound eher schwierig würde. Der „Interstate Highway Act“ war der Startschuss für den Bau eines Autobahnnetzes, das sich durch die ganzen USA ziehen sollte. Zwar wurden einerseits die Busrouten schneller und bequemer, andererseits ermutigte es mehr Autofahrer, Langstrecken auch mal selbst zu fahren. Am Ende siegte der Individualverkehr.

Greyhound überlebte so manche Wettbewerber, ging aber aus jeder Krise weiter geschwächt hervor. Insolvenzen mussten angemeldet werden, neue Partner stiegen ein und wieder aus.

Der „Bus Regulatory Act of 1982“ von Präsident Ronald Reagen entließ die Fernbus-Industrie dann praktisch aus jeglicher Aufsicht durch die Politik. Routen konnten beliebig eröffnet oder geschlossen werden, egal, was das für die betroffenen Gemeinden bedeutete. Preise mussten nicht mehr genehmigt werden. Das Bussterben beschleunigte sich.

Spätestens seit der Coronakrise sind die Fernbusse nur noch ein Schatten ihrer selbst

Das liegt auch daran, dass Langstrecken-Busreisen in den USA nur Feinde, kaum Freunde haben.

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Anders etwa als die amerikanische Eisenbahn.

US-Präsident und Bahnliebhaber Joe Biden, Spitzname „Amtrak-Joe“, hat viele Jahre die schützende Hand über den bedrohten Schienenverkehr gehalten. Noch als Senator fuhr der heutige Präsident jede Woche per Amtrak-Zug von seinem Wohnsitz in Wilmington nach Washington und zurück. Mit etwas Glück saß man ihm dann im Speisewagen einfach so bei einem Kaffee gegenüber. Heute gilt die Situation im US-Personenzugverkehr als zumindest stabilisiert.

Im Gegensatz zum Busverkehr.

Die triste Gegenwart













Wer heute stunden- oder gar tagelang in den legendären Leichtmetallbussen mit den schnittigen Windhund-Logos reist, der will das nicht, der muss.

Greyhound kämpft zudem damit, dass attraktiv gelegene Greyhound-Busstationen in Innenstädten der US-Metropolen aus dem Unternehmen herausgenommen wurden. Sie sind jetzt begehrte Filetstücke für Immobilienentwickler, die Luxuswohnungen darauf errichten, und werden separat verkauft.

Im Mittelpunkt steht dabei die Firma Alden Global Capital: Das Unternehmen hat über die Tochter Twenty Lake Holdings allein schon 33 Greyhound-Immobilien für zusammen 140 Millionen Dollar aufgekauft, um sie an Immobilienentwickler weiterzuverkaufen.

„Das Zeitalter der privaten Bushaltestellen geht rapide zu Ende“, sagt Joseph Schwieterman. Jetzt müsse „der Staat dafür sorgen, dass die Menschen nicht in Regen und Schnee alleingelassen werden“.

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Das Verschwinden der Greyhound-Terminals und anderer Stopps bringe große Probleme mit sich, sagt Nicholas Klein von der Cornell University. Große Gruppen von Menschen, die ohne notwendige Infrastruktur oft Stunden an Straßenrändern warten, weil die Busbetreiber jeden Cent sparen wollen, verursachen beachtliche Schäden, Müll und Probleme.

Zudem sind die Greyhound-Stationen in weiten Teilen des ländlichen Amerikas auch nach wie vor existenziell wichtig: Es gibt dort keinerlei öffentlichen Nahverkehr. Der Greyhound, der ein- oder zweimal pro Tag durchkommt und auch Pakete mitbringt, übernimmt eine absolut vitale Funktion für das Funktionieren der Gemeinden. Hunderte Ortschaften haben keine Zuganbindung. Ohne einen Greyhound wären alle Bürger ohne Auto faktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Und die 30 oder 40 Dollar für den Bus zum Facharzt im Nachbarort würden sich bei Uber oder Lyft schnell zu Hunderten Dollar pro Fahrt summieren.

Ist die Lage also hoffnungslos?

Nun, hier und da reagiert Greyhound mittlerweile. In Atlanta etwa wurde ein neues, modernes Greyhound-Terminal eröffnet, gebaut mit öffentlicher Förderung. Dafür muss es offen auch für andere Busunternehmen und deren Kunden sein.

Und aus traurigem Grund gibt es sogar neue Aufgaben, für die die geballte Macht der schlanken Greyhounds dringend gebraucht wird. Bei den jüngsten verheerenden Waldbränden wurden immer wieder Busse aus dem ganzen Land zusammengezogen, um großflächige Evakuierungen schnell durchzuführen.

Text: Axel Postinett; Redigatur: Sven Prange; Storytelling: Agatha Kremplewski; Montage und Bildredaktion: Julius Brauckmann; Infografik: Hendrik Wünsche

Bildnachweise: Handelsblatt Montage, IMAGO / USA TODAY Network

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