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Bürgermeister von Melonis Gnaden: Warum dieser Deutsche Florenz regieren will

Eike Schmidt führte die Uffizien in Florenz, eines der berühmtesten Museen der Welt. Nun tritt er bei der Bürgermeisterwahl in der Stadt an – ausgerechnet unterstützt von der rechten Meloni-Koalition. Wieso tut der Kunstmanager sich das an?

Rom. Eike Schmidt öffnet die Tür zum Sender „Novaradio“. Der Tontechniker ist krank, der Moderator steckt mitten im Live-Programm. Schmidt schnappt sich die Kopfhörer, setzt sich ans Mikrofon hinter die Glasscheibe, scrollt durch die „New York Times“-App. Dann begrüßt ihn der Radiomann: „Ihn kennen alle, er war Direktor der Uffizien.“

Eike Schmidt ist der berühmteste Deutsche in Florenz: Der 56-Jährige hat von 2015 bis 2023 die „Galleria degli Uffizi“ geleitet, einen der größten Kunstschätze der Welt und eines der Haupttouristenziele in ganz Italien. Aber der Kunstmanager ist nicht hier, um über seinen alten Job zu sprechen. Er hat ein neues Ziel: Bürgermeister.

„Ich habe acht Jahre für die Stadt gearbeitet“, sagt Schmidt. Vor dem Ende seiner Amtszeit fragten ihn immer mehr Leute, ob er nicht kandidieren wolle. Erst hielt er das für einen Scherz, irgendwann gefiel ihm die Idee, im April kandidierte er offiziell. „Die Aufgabe ist gar nicht so unterschiedlich“, sagt Schmidt, der ohne Skript spricht, ohne Notizzettel. In seiner sonoren Stimme fließt das Italienisch nur so dahin, nur noch ganz wenig deutscher Akzent ist zu hören.

Eike Schmidt im Interview beim linken Radiosender „Novaradio“. Foto: Christian Wermke

Dann kommt die Frage, die immer wieder kommt: zum Postfaschismus. Denn auch wenn Schmidt Anfang Juni mit einer bürgerlichen Liste antritt – er lässt sich von der rechten Regierungskoalition um Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni unterstützen.

Schmidt bezeichnet sich selbst als Antifaschist

Deren Partei Fratelli d’Italia hat postfaschistische Wurzeln. Schmidt findet, dass man sie allerhöchstens als „Post-Post-Postfaschisten“ bezeichnen könne.

Da ist niemand mehr dabei, der lebte, als die Faschisten an der Regierung waren.

Eike Schmidt

über die rechte Partei Fratelli d’Italia

Er selbst definiere sich in erster Linie als „Antinazista“, also als Anti-Nazi, dann als Antifaschist und zu guter Letzt auch als Anti-Totalitarist. Er unterstütze nicht alle Positionen, die die drei rechten Regierungsparteien haben. „Aber ich mag es, mich mit Menschen zu reiben, die anders denken als ich“, sagt Schmidt. Mit Nazis oder Faschisten habe er sich nie getroffen. „Aber mit einem Ex-Faschisten. Man muss offen für den Dialog sein.“

Dann fragt ihn der Moderator, ob er „Bella Ciao“ singen kann, die berühmte Partisanenhymne, heute ein Symbol des Antifaschismus. „Ich habe es mehrmals gesungen“, sagt Schmidt. Aber jetzt wolle er nicht. Als er das Studio nach einer halben Stunde Interview verlässt, sagt er zu seiner Wahlkampfmanagerin: „Ich glaube, da sind viele froh, dass ich das Lied nicht gesungen habe.“ Im Vorbeigehen entdeckt er das Logo der Sozialdemokraten auf einer Tür im Hof. „Hätte ich gewusst, wie links der Sender ist, hätte ich ein paar Marx-Zitate mitgebracht.“

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Warum tut sich ein hochdekorierter Museumsmanager aus Deutschland den Quereinstieg in die Politik an? Und warum ausgerechnet mithilfe von rechten Politikern, deren Positionen er gar nicht vertritt?

„Alles gut, Direttore?“, ruft ihm ein Lederwarenhändler auf Deutsch zu, als Schmidt im dunkelblauen Anzug durch die Altstadt schlendert. Für viele ist er immer noch der Chef der Uffizien, dabei führt er mittlerweile das Museum Capodimonte in Neapel. Sein Lebensmittelpunkt ist aber weiterhin Florenz. Er brauchte damals lange, um eine Wohnung zu finden – wegen seiner Büchersammlung, mehr als 35.000 Stück. Er wohnt ganz in der Nähe der Uffizien, kommt täglich an seinem alten Arbeitsplatz vorbei, wenn er in Richtung Innenstadt läuft.

„Der Job in Neapel ist schön, auch besser bezahlt als ein Bürgermeister“, sagt Schmidt. Aber ihm ist Florenz ans Herz gewachsen. Schon für seine Doktorarbeit lebte er Mitte der Neunziger sieben Jahre hier. „Ich sehe es als eine Art Dienst für die Stadt.“ Er habe beruflich alles erreicht. „Oberhalb der Uffizien gibt es nichts mehr.“

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Schmidt wurde in Freiburg geboren, studierte Kunst in Heidelberg. Als Kurator machte er einen Abstecher in die USA, arbeitete später ein Jahr als Direktor im Londoner Auktionshaus Sotheby’s. Aber die Liebe zu den Museen brach nie ab. „Ins Archiv zu gehen, bei einer Restaurierung feststellen, dass sich hinter einem Objekt etwas ganz anderes steckt – das hat mich immer fasziniert“, sagt Schmidt, der mittlerweile auch die italienische Staatsbürgerschaft angenommen hat.

Zum Frühstück kehrt er an einem Dienstag Mitte Mai in die Bar H9 ein, an den Wänden hängen lila Trikots des AC Florenz, der lokale Fußballklub. Sie servieren ihm Cappuccino mit der Fiorentiner Lilie im Milchschaum, dazu Marmeladencrossaint.

Kandidat Schmidt beim Frühstück in der Bar H9. Foto: Christian Wermke

Mehr Polizeipräsenz, mehr Bäume, weniger Personal

Als „futuro sindaco“ begrüßen sie ihn hier schon, als künftigen Bürgermeister. „Er hat die Uffizien toll geführt“, sagt Angelo Ortiz, dessen Familie die Bar gehört. Schmidt kenne die vielen Probleme der Stadt und könne diese genauso gut lösen, glaubt der 73-Jährige.

Von Problemen hat die Stadt genug, findet auch Eike „Smied“, wie die Italiener seinen Namen aussprechen: zu viel Verkehr, eine zu aufgeblähte Verwaltung, zu wenig Bäume, zu wenig Polizeipräsenz in öffentlichen Parks. Schmidt will mehr Gelder für soziale Leistungen freimachen, etwa kostenlose Kitas und Nachmittagsunterricht. „Das kostet einige Millionen Euro pro Jahr. Aber wir können das an anderer Stelle einsparen“, sagt er.

Er will die Probleme der Stadt so angehen, wie er das auch auf Ebene der Uffizien schon gemacht hat. Als Beispiel nennt er den Pitti-Platz, für den er als Chef des Museumskomplexes mit verantwortlich war. Dort gab es jahrelang ein Sicherheitsproblem, Schmidt beauftragte eine Wachfirma, ließ Kameras aufstellen. Heute sei der Platz sicher. So ähnlich will er das auch im Rest der Stadt umsetzen, etwa in den Cascinen, einem Park, in dem heute neben Bäumen vor allem der Drogenhandel floriert.

Schmidt will Florenz wie ein Unternehmen führen, „spending reviews“ einführen, die Zahl von 4200 Mitarbeitern deutlich reduzieren.

Die Stadt habe auch viel zu viele Services outgesourct. Jeder Park-Strafzettel wandere zu einer Subfirma, die dafür 14 Euro nehme – und am Ende landeten die Bescheide bei irgendwelchen US-Touristen, die sowieso niemals zahlen.

Schmidt beim Spaziergang durch die Marktgassen in Florenz. Foto: Christian Wermke

Als Schmidt durch die Gassen rund um den Mercato Centrale läuft, den überdachten Markt im Zentrum, und an fast jedem Stand Hände schüttelt und für Selfies posiert, laufen ebenjene Touristen aus den USA vorbei. „Das ist der Kandidat der Nazis“, sagt ihr italienischer Guide auf Englisch, als Schmidt außer Hörweite ist. Er habe gute Arbeit für das größte Museum der Stadt gemacht. „Aber jetzt tritt er für die Illiberalen an.“

Schmidt selbst war nie in einer Partei, auch in Deutschland nicht.

Ich bin in dem Feld, das sich zwischen CDU, FDP und zu einer kleinen Portion auch bei den Grünen auftut. Ich bin einfach in der Mitte.

Eike Schmidt

Und diese Mitte, die gebe es nun mal in Italien derzeit nicht. Dann redet er über die Democrazia Cristiana, die es hier in den 90ern noch gab. „Die war mitte-rechts, aber nach links offen, ein bisschen wie Merkels CDU.“ Seine Bürgerliste habe er gegründet, weil „meine eigene Position sich von allen drei Parteien unterscheidet“. Dass er ein eindeutig „mittigerer Kandidat“ sei für das Dreiparteienbündnis, sei ihm auch klar.

Die Logos der Rechten zieren seine Kampagne

Trotzdem schmücken nun die Logos von Melonis Fratelli, der Lega von Rechtsaußen Matteo Salvini und von der konservativen Forza Italia Schmidts Wahlkampagne. Es gibt sogar Plakate, auf denen Schmidts Name neben dem vom toten Übervater der italienischen Rechten, Silvio Berlusconi, steht. „Das habe ich mir auch nicht träumen lassen“, sagt Schmidt.

Schmidts Wahlkampfzentrale mit den Logos seiner Unterstützer. Foto: Christian Wermke

Die Koalition konnte sich schnell darauf einigen, ihn als Kandidaten zu unterstützen. „Wir tun wirklich alles, was wir können, um die Stadt zu erobern“, sagt ein Fratelli-Anhänger, der Schmidt im Wahlkampf unterstützt. Seit 29 Jahren wird Florenz von den Sozialdemokraten regiert. Es ist eine der letzten großen linken Hochburgen im Land.

Hätte Schmidt es nicht auch ohne die Unterstützung von Melonis Dreierbündnis schaffen können? „Nein, dann hätte ich vor mindestens einem Jahr ein politisches Projekt auf die Beine stellen und nach Verbündeten suchen müssen.“ Damals sei die Idee aber noch gar nicht ausgereift gewesen. Nun lässt er sich von den Rechten aufs Podest hieven, nutzt ihre Wahlkampferfahrung, ihre Infrastruktur. Ist er dabei völlig mit sich im Reinen?

„Ja“, sagt Schmidt. „Sonst würde ich es nicht machen.“ Aber er sei sich dessen auch bewusst, dass besondere Situationen entstehen könnten, in denen er „Bauchschmerzen“ haben könnte. Ein solcher Moment war etwa, als kurz zur Debatte stand, ob Lega-Mann Roberto Vannacci fürs Stadtparlament kandidieren sollte. Der General ist vor allem dafür bekannt geworden, hart gegen Migranten und Homosexuelle auszuteilen. „Das wäre ein Rechtsdrall, der nicht mit meinem Programm vereinbar gewesen wäre“, sagt Schmidt.



„Wenn ich mir die außenpolitischen Entscheidungen anschaue, lässt sich überhaupt nicht erkennen, wann die Regierung Draghi endete und wann die Regierung Meloni begann“, sagt Schmidt.

Mit dieser Analyse geben ihm selbst viele politische Beobachter und Journalisten recht – gerade, was die Positionen gegenüber Europa, den USA und der Ukraine angeht. Aber trotzdem ist in Italien unter der Meloni-Führung ein Rechtsruck zu spüren, gerade bei gesellschaftlichen Themen wie etwa Abtreibung oder Leihmutterschaft.

Mitunter werde es Schmidt aber zu wild, was internationale Medien über die Regierung schreiben. Sie werde dann als „rechtsradikal“ beschrieben wie jüngst in der „taz“ oder als „neofaschistisch“ wie vor Kurzem in einer französischen Zeitung.

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Schmidts Skepsis gegenüber den Linken

Mit Skepsis schaut Schmidt auch auf die Gründung der PD: „Da sind auch viele Post-Kommunisten drin“, sagt er. „Das wäre so, als hätte die Linke in Deutschland alle linken Kräfte für eine neue Partei zusammengesammelt.“

Auf seiner Bürgerliste stehen nur zwei Politiker: Spitzenkandidat Paolo Bambagioni war früher mal bei den Sozialdemokraten, Massimo Sabatini sitzt aktuell im Gemeinderat – parteilos, aber auf Lega-Ticket. Der Rest sind Unternehmer, Medizinerinnen, Wissenschaftler. Der jüngste Kandidat ist 20, der älteste 77.

Für Schmidt ist es elementar, Entscheidungen im Konsens zu finden, über die Parteigrenzen hinweg. „Es wird ganz wichtig sein, dass man für die Lösung der konkreten Probleme der Stadt überall Verbündete findet.“ Aber hat Schmidt überhaupt eine realistische Chance, die linke Hochburg einzunehmen?



In den Umfragen für die Wahl, die parallel zu den Europawahlen stattfindet, hat Schmidt zuletzt mächtig aufgeholt.

In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos liegt der Abstand nur noch bei drei Prozentpunkten: Die Kandidatin der Mitte-links-Parteien, Sara Funaro, kommt auf rund 37 Prozent. Schmidt auf rund 34. Bei der letzten offiziellen Umfrage, die noch vor Schmidts Kandidatur durchgeführt wurde, stand es noch 43 zu 31 für Funaro.

Acht weitere Kandidaten treten an. Wenn keiner auf Anhieb mehr als 50 Prozent der Stimmen holt, geht es in die Stichwahl der beiden Favoriten. Schmidt ist zuversichtlich, dass er das schafft.

Ich möchte die 35 Prozent im ersten Wahlgang schon gern übersteigen.

Eike Schmidt

Die entscheidende Frage ist, ob die Florentiner am Ende tatsächlich in Parteilinien entscheiden, in links und rechts denken – oder ob es gerade bei einer Bürgermeisterwahl nicht um die Personen geht, die Charaktere.

Gemüsehändlerin Elisabetta Pistolesi-Boni posiert mit Schmidt auf dem Mercato Centrale. Foto: Christian Wermke

Für Elisabetta Pistolesi-Boni, Gemüsehändlerin auf dem Markt im Zentrum, ist die Wahl schon klar: „Schmidt hat sich als Direktor nicht nur für das Museum eingesetzt, sondern auch für die Bürger der Stadt“, sagt sie. Er sei eine seriöse und glaubwürdige Persönlichkeit. „Da ist es mir egal, welche Parteien ihn unterstützen.“

Text und Fotos: Christian Wermke, Redigatur: Sven Prange, Storytelling: Agatha Kremplewski, Bildredaktion: Iris Zielinski

Bildnachweise Hintergrundbilder: Bild 1: Stefano Dal Pozzolo/contrasto/laif; Bild 2: picture alliance/dpa; picture alliance / Photoshot; Bild 3: Getty Images; Bild 4: IMAGO/Stefano Carofei; Bild 5: Getty Images

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