Doris Bösmüller leitet zwei Unternehmen, führt insgesamt 60 Mitarbeitende und nutzt Astrologie wie den Wetterbericht. Vor allem für sich persönlich, um ihre Stärken und Herausforderungen des Jahres zu kennen und sich mit der Astrologie wie mit einem Regenschirm gegen Regen zu wappnen. Aber sie nutzt es auch geschäftlich.
„Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Geburtshoroskop, so auch ein Unternehmen“, sagt Bösmüller. Die Druckerei werde nicht rein astrologisch geführt, es gebe viele Mitarbeitende, die nichts mit Astrologie anfangen können. Aber ihr helfe sie als zusätzliches Tool bei der Markenpositionierung, bei der Neuausrichtung des Unternehmens, bei Investitions- und wichtigen Personalfragen, erklärt Bösmüller.
Etwa als sie vor acht Jahren einen weiteren Geschäftsführer eingestellt hat. Natürlich hätten auch Anforderungen und Bewerbungsgespräche gepasst, sagt sie. Aber eben zusätzlich sein Horoskop.
Bösmüller ist Unternehmensberaterin, Miteigentümerin eines Druckereiunternehmens und einer Etikettendruckerei in Österreich. Gegenüber 2016 konnte sie den Umsatz des Druckereiunternehmens verdoppeln, regelmäßig gewinnt es renommierte Preise, seit 2019 ist sie Landesvorsitzende des WdF-Wirtschaftsforums der Führungskräfte Niederösterreichs.
Sie einfach als esoterische Spinnerin abzutun wäre nicht fair. Der Glauben an die Sterne ist auch nichts Österreich-Spezifisches.
Auch gut jeder zweite Deutsche glaubt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Sternzeichen und der Persönlichkeit von Menschen gibt, wie eine Yougov-Umfrage von 2021 herausgefunden hat.
Das Zeitungshoroskop hält sich seit über 90 Jahren beständig – wehe, es fällt dem Sparzwang der Printmedien zum Opfer.
Aber auch Internetseiten, Astro-Influencer auf Social Media und Astro-Apps gibt es zuhauf. Die Dating-App Bumble kann potenzielle Partner sogar per Sternzeichen filtern.
Und laut dem Jahresrückblick 2022 des Datingkonkurrenten Tinder wurden Sternzeichen am häufigsten den Profilen hinzugefügt.
Wenn schon die Liebe an den Sternen hängt, warum dann nicht auch in Karriere- und Unternehmensfragen Astrologen konsultieren? Oder ist das alles nur Humbug?
I. Wo ein Boom, da ein Markt
Doris Bösmüller gibt im Jahr etwa 1000 Euro für astrologische Dienste aus. Für sich persönlich, aber auch, um ihr Unternehmen in Sicherheit zu wiegen. Erst im Frühjahr stand eine Investition für eine neue Maschine in der Endfertigung an. Sie achtete darauf, den Vertrag nicht zum Zeitpunkt des rückläufigen Merkurs zu unterschreiben.
Kein Planet wechselt die Richtung, doch durch die unterschiedlichen Umlaufgeschwindigkeiten von Planeten entstehen optische Täuschungen, die den Merkur rückläufig erscheinen lassen.
Astrologen messen dem Ereignis des rückläufigen Merkurs besonderen Einfluss auf tägliche Lebensereignisse bei, viele fürchten die Kommunikation gestört und raten etwa ab, Verträge zu unterzeichnen.
Bösmüller hatte zwar keine Probleme mit dem Vertrag, aber mit der Bank, sodass sie unnötiger Bürokratieaufwand geplagt habe. Ihr sei dann aufgefallen, dass der Termin mit der Bank genau zum Zeitpunkt des rückläufigen Merkurs stattfand. Ein Fehler, den Bösmüller nicht erneut begehen würde.
Wer sein Unternehmen nach den Sternen lenkt, betreibt Aufwand. Noch aufwendiger sei es aber, die Fehler im Nachhinein wieder auszubügeln, sagt Bösmüller. Der Deal mit den Sternen ist für viele vor allem einer gegen Unsicherheit. Und das in einer Welt, in der nicht einmal die Jahreszeiten mehr sicher scheinen.
Ein Deal, der für viele durchaus lukrativ ist. Das Marktforschungsinstitut Allied Market Research schätzte das globale Volumen des Astrologiemarktes 2021 auf
Milliarden Dollar.
Gleichzeitig wird eine sich fast verdoppelnde Marktgröße bis 2031 prognostiziert.
Für den deutschen Markt gibt es keinerlei aktuelle Zahlen. Zwar ist die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) vor vielen Jahren mal von 6000 Astrologen mit einem jährlichen Umsatz von 150 bis 250 Millionen Euro ausgegangen, doch ob das auch heute noch annähernd hinkommt, wisse niemand, heißt es von der GWUP. Schließlich besteht der Markt längst nicht nur aus Astrologen.
Die vielfach genutzte App Co-Star aus den USA bietet individuelle Horoskope an und sammelte bislang 20,9 Millionen Dollar bei Investoren ein. Der deutsche Sender AstroTV, der Lebensberatung per kostspieliger Telefonhotline anbietet, wird zwar zum Ende des Jahres eingestellt. Jedoch nur, weil der Betreiberkonzern Adviqo sich noch mehr aufs Internet konzentrieren will.
Questico, eine bereits existierende Internetmarke von Adviqo, bietet Chat- oder Telefonberatung durch Schamanen, Astrologen oder Hellseher an. Ein Anruf für Neukunden kostet zwar die ersten 15 Minuten nichts, danach können Interessierte nach Beratern filtern, deren Preise zwischen 1,19 Euro und 8,99 Euro die Minute liegen. Questico vertrauen laut eigenen Angaben mehr als zwei Millionen Kunden.
Dazu kommen unzählige Astrologen, die in persönlichen, telefonischen und digitalen Sprechstunden ihre Dienste anbieten. Die Wirtschaftsastrologie ist zwar eine Nische, doch auch hier verlangen Anbieter für ihre Sessions oft mehr als hundert Euro pro Stunde, wobei viele Angebote mehrstündige Coachings vorsehen.
Dabei ist die Astrologie nicht wissenschaftlich belegt. Uwe Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück und Autor des Buches „Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen: Unseriöse Methoden der Psychodiagnostik“, nennt die Astrologie sogar die „am besten widerlegte Pseudowissenschaft überhaupt“.
Eine viel zitierte Studie ist 1985 im renommierten Wissenschaftsjournal „Nature“ erschienen. 28 Astrologen sollten über hundert Geburtshoroskope interpretieren und mit einem Persönlichkeitstest abgleichen. „Astrologie performte nicht besser als der Zufall“, fasst die Studie ihre Untersuchung zusammen. Jüngere Studien kamen zum selben Ergebnis.
Das Max-Planck-Institut für Astronomie sagt auf Anfrage des Handelsblatts: Zwar hätten Astronomie und Astrologie einen gemeinsamen historischen Rahmen, doch der existiere schon lange nicht mehr. „Die Astrologie ist vielmehr ein Zeichen für die mangelnde wissenschaftliche Bildung, um die es derzeit nicht besonders gut steht.“
Trotzdem wird Druckereichefin Doris Bösmüller weiter jährlich Geld für astrologische Ratschläge ausgeben, wird weiter ihre Entscheidungen nach dem Merkur ausrichten.
Umso deutlicher drängt sich aber auch die Frage auf: Ist das, was astrologische Dienste anbieten, nicht einfach nur Abzocke? Und was kann Astrologie bieten, dass sich so viele Menschen an ihr orientieren?
II. Die Wirtschaftsastrologin
Wer die Wirtschaftsastrologin Franziska Engel konsultieren will, kann sie etwa in der Havanna Lounge in der Bremer Innenstadt antreffen. Ein Wirtschaftsklub, der schon deswegen wichtig wirkt, weil er sich fast unsichtbar in die beste Innenstadtlage einreiht. Kaum einer würde ihn zufällig bemerken – wer eintreten will, muss klingeln und wird dann persönlich eingelassen.
Engel sitzt im Café der Lounge, trägt blaue Bluse und pinken Blazer. Sie will seriös wirken, spricht bedacht, sagt, dass ihr die Wirtschaftsastrologie gefalle, weil „sie so schön konkret“ ist und sie den passenden Hintergrund habe.
Engel hat Wirtschaft studiert, lebte zehn Jahre in China, leitete ein Einzelhandelsunternehmen und ließ sich schließlich als Astrologin vom deutschen Astrologenverband (DAV) prüfen, bei dem sie mittlerweile im Vorstand aktiv ist. Der Verband zählt ihr zufolge 700 Mitglieder, Tendenz steigend.
Seit 2007 habe Engel etwa 2500 Ratsuchende beraten, darunter auch Geschäftsführer. Es gehörten auch Mitarbeitende und Führungskräfte von Großkonzernen zu ihrer Kundschaft, aber die Rechnungsstellung laufe in diesen Fällen nicht über die Konzerne, sagt Engel. Und:
Wer sich von ihr ein Horoskop anfertigen lässt, der weiß, was sie damit sagen will. Engel hat für das Treffen mein Horoskop mitgebracht.
Sie hat es anhand meines Geburtsdatums, der -zeit und des -ortes von ihrem Rechner zeichnen lassen. Es sieht aus wie eine komplexe mathematische Rechnung, Kreise werden durch verschiedene Linien verbunden und aufgeteilt, Gradzahlen mit Symbolen verteilen sich in dem Kreis.
Das Horoskop scheint für Laien unverständlich, auch Astrologen wie Engel sagen deswegen, dass es mehrere Ausbildungen und nicht nur einen Wochenendkurs braucht, um als Astrologin arbeiten zu können. Aber wie genau läuft so eine astrologische Beratung ab? Ein Auszug:
Engel: „Die starke Sechsthausbetonung deutet darauf hin, dass das Thema Arbeit, Routine, Alltag, Aufgaben bewältigen zu Ihrem Leben dazugehört.“
Stimmt, denke ich.
„Diese Verbindung, Merkur, Sonne und Pluto in der Kombi, die sollten Sie für sich nutzen. Also Merkur, das ist der Kommunikator, das passt zu Ihnen als Journalistin. Ihr Sternzeichen Schütze, das ist ein großes Zeichen. Sie wollen die großen Zusammenhänge und nicht die kleinen. Pluto ist immer da, wo Macht, Ohnmacht und Gewaltkontrolle ist.“
Wahrscheinlich meine Jobbeschreibung, denke ich. Oder die, von der jede Journalistin und damit auch ich träume.
„Und wenn Pluto so eng an der Sonne steht, sprich mit der eigenen Lebensenergie, dann ist das ein Atomkraftwerk, und das ist nicht aufhaltbar. Das kann unglaublich viel bewegen, das ist eine Energie, die nicht aufhört. Das können Sie sich zunutze machen. Wenn Sie sich für etwas entscheiden, und Ihnen werden mit Sicherheit Themen begegnen, wo es um Macht und Kontrolle geht, was zerstörerisch sein kann, dann gehen Sie darein.
Ich merke, wie ich ihr immer lieber zuhöre. „Das ist ja immer nur positiv, was Sie so sagen“, merke ich an.
„Ja, ich mag auch lieber positiv, das ist ressourcenorientiert. Ich könnte zwar auch Negatives nennen, aber das mache ich nicht, weil meine persönliche Überzeugung ist, dass wir uns entscheiden können, Dinge positiv zu entwickeln. Es würde Ihnen ja nichts bringen, wenn ich Ihnen sage: Mond im Steinbock, das sind oft Leute mit eingeschränktem Selbstwert. Stimmt wahrscheinlich auch, oder?“
Mach lieber weiter mit den positiven Deutungen, denke ich. So langsam verstehe ich die Macht, die Astrologen mit sich bringen. Ich glaube zwar nicht an Astrologie, aber nach der Session fühle ich mich tatsächlich bestärkt. Meine astrologische Beratung war kein einseitiges Deuten, sondern ein Gespräch, in dem Engel auf mich und meine Wünsche eingegangen ist und mir mehr oder weniger mit den Sternen Mut gemacht hat.
III. Unklare Sterne
Franziska Engel hat einen Computer, ein Horoskop, vor allem aber eine gute Menschenkenntnis. Die Wirtschaftsastrologin erzählt etwa von einem Kunden, dem sie vor Jahren schon geraten habe, niemals Personal einzustellen. Er solle lieber mit Freelancern zusammenarbeiten, weil er jeden Mitarbeiter terrorisieren würde.
„Das will der auch nicht, aber die Struktur, die erkennbar ist und was er mir auch aus seinem Leben bestätigt hat, das kann man ja abgleichen, deutet daraufhin, dass er diese potenziellen Konflikte umgehen kann.“
Ohne Einverständnis aller Beteiligten würde sie nie astrologisch beraten, sagt Engel. Selbst über Dritte zu sprechen sei für sie schon ethisch kritisch, ließe sich aber manchmal in Konfliktsituationen nicht vermeiden. Wenn jemand in ihrer Beratung anhand eines Horoskops etwas über Dritte erfahren wolle, ginge das ausschließlich mit explizitem Einverständnis. Wie andere Astrologen arbeiten, kann aber auch Engel nicht beurteilen.
Jeder, der will, mit oder ohne Ausbildung, mit oder ohne Zertifikat, kann sich Astrologe nennen. Die Ausbildungen und Zertifikate, die es gibt, sind maximal in der Astrologenszene selbst anerkannt. Was ethisch in Ordnung ist, entscheidet also jeder Astrologe selbst. Welche Grenzen die astrologische Beratung hat, auch.
Eine Wirtschaftsastrologin aus Baden-Württemberg, die sich nach dem Gespräch entscheidet, im Artikel nur noch anonym auftauchen zu wollen, sagt, dass sie vor allem bei Konfliktlösungen in Unternehmen beraten würde. Hier wüssten die Beteiligten von der astrologischen Beratung.
Es sei auch schon vorgekommen, dass sie bei Personalentscheidungen hinzugezogen wurde. „Man sieht, wenn man zwei Horoskope miteinander vergleicht, ob zwei Personen miteinander können beziehungsweise worauf die Personen im Umgang miteinander achten sollten. Das kann man dann auch wunderbar aufs Berufliche übertragen.“
Für die Analyse bräuchte die Astrologin nicht zwangsläufig die genaue Geburtszeit. „Mir reichen Geburtstag und Geburtsort. Da man ein Horoskop aus verschiedenen Blickwinkeln analysieren kann, ist die Geburtszeit gerade im Businesskontext nicht zwingend erforderlich, um zu einem klaren Ergebnis zu kommen.“
Geburtstag und Geburtsort stehen auch oft auf den Lebensläufen von Bewerbern. Sie spreche auch nur Empfehlungen aus, und meistens würden ihr die Chefs eine Einverständniserklärung von den Bewerbern vorlegen. Meistens, aber nicht immer.
Dass in dieser Einverständniserklärung auch steht, dass es sich um eine astrologische Beratung handele und nicht nur allgemein um eine externe Beratung Dritter, sei nicht zwangsläufig der Fall. „Das kommt darauf an, wie offen der Chef ist“, sagt die Wirtschaftsastrologin. Viele würden sich nicht trauen zu sagen, dass sie mit einer Astrologin zusammenarbeiten, Astrologie sei schließlich noch immer eine Hemmschwelle.
Für Diskriminierung hält die Frau aus Baden-Württemberg ihre Tätigkeit nicht, da keiner eine Absage aufgrund des Sternzeichens bekomme. Schließlich würden viele weitere Faktoren bei der Personalauswahl zusammenkommen. „Es geht nicht darum, jemanden bloßzustellen, sondern nur darum, die Qualitäten eines Mitarbeiters zu erkennen und zu fördern“, sagt sie. Und:
Aussagen, die den Osnabrücker Hochschulprofessor Uwe Kanning wahrscheinlich verzweifeln ließen. „Es ist jedermanns gutes Recht, sich selbst zu schaden. Aber sobald andere davon betroffen sind, haben wir es mit einem viel größeren Problem zu tun.“
Schließlich seien astrologische Entscheidungen ähnlich zufällig wie ein Münzwurf. „Entscheider in Unternehmen werden dafür bezahlt, dass sie rational entscheiden.“
IV. Warum Menschen der Astrologie verfallen
Für Kanning gibt es verschiedene Erklärungen für den Glauben an Astrologie. Zum einen reduziere sie Komplexität. Zum anderen tritt, wenn der Astrologie erst mal geglaubt werde, der sogenannte Confirmation Bias ein. Die Wahrnehmung werde selektiver, es werden nur noch Bestätigungen für die eigene Überzeugung gehört, Kritik werde dagegen ausgeblendet.
Dazu komme aber gerade bei der Astrologie ein weiterer Effekt: Mode. „Im Internet sieht man, dass sehr viele Menschen an Astrologie glauben. Hiervon geht eine gewisse Verführung aus, denn es ist viel leichter, an etwas zu glauben, das viele Menschen glauben.“
Die Druckerei-Chefin Doris Bösmüller zweifelt die wissenschaftlichen Argumente gegen Astrologie gar nicht an. Sie sagt: „Die Studien folgen sicher den wissenschaftlichen Normen.“ Aber es gebe sicherlich auch Studien, die das Gegenteil bewiesen.
Je mehr Bösmüller spricht, desto deutlicher wird, wie wenig sie sich für die Studienlage überhaupt interessiert. „Wie viele Studien gibt es darüber, dass Homöopathie nicht wirkt? Was sagen aber die, bei denen Homöopathie wirkt?“
Auf die Frage, ob ihr Unternehmen scheitern könnte wegen ihrer astrologischen Zeitplanung, sagt sie Nein und beginnt zu lachen. „Wie soll das denn funktionieren? Ob ich die Website zwei Wochen vor- oder nachher rausbringe, ist ja für alle anderen egal.“
Und so gibt die Astrologie vielen Menschen sicherlich etwas, das keine Wissenschaft geben kann. Etwas, das die Astrologin Franziska Engel „eine Abkürzung“ nennt. Eine Sicherheit, bei unzähligen kleinen und großen Entscheidungen – und das Gefühl, dabei nicht allein auf sich selbst und seinen rationalen Verstand angewiesen zu sein. Denn: Die Sterne begleiten einen immer.
Redigatur & Storytelling: Christian Wermke
Quellen Hintergrundbilder: Christian Wermke | Dall-E