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Kaufen, kaufen, kaufen

Die Rückkehr des Teleshoppings

Teleshopping galt als tot. Nun explodiert in China der Markt. Und auch Otto, Zalando und Douglas springen auf den Trend. Über ein Format, seine Wiederauferstehung und was das mit der Generation Tiktok zu tun hat.

Jan Lutz 05.07.2024 - 15.00 Uhr









Es gibt Produkte, von denen man gar nicht weiß, dass man sie kaufen will, bis jemand einem davon erzählt. Das Küchenmesser etwa – „besonders scharf“. Oder der Gemüsehobel. Der Entsafter

Und wenn die zweite Fruchtpresse dann noch gratis dazukommt – mein Gott, warum eigentlich nicht? Mal spontan sein. Sich verleiten lassen.

Teleshopping gilt als vorgestrig, angestaubt, aus einer anderen Zeit. Doch das Format erlebt gerade eine Renaissance. In China explodiert der Markt. Und auch deutsche Einzelhändler wie Otto, Douglas und Zalando haben den wiederaufkommenden Trend erkannt, und gehen wieder regelmäßig mit Verkaufsshows live auf Sendung.

Die Influencerin Jenny Augusta bei einer Kooperation mit Otto. Bild: Otto

„Teleshopping ist noch heute ein Milliardenmarkt“, sagt Jörg Heinemann, der bei Otto für Innovation zuständig ist. Am Black Friday 2023 hätten „in der Summe 100.000 Menschen“ bei Otto-Teleshopping eingeschaltet, sagt Heinemann. Das Unternehmen hatte vor einiger Zeit etwa auch eine Show mit dem TV-Promi Ross Antony, der auf der Plattform von Otto Kenwood Küchengeräte zur Schau stellte. Die Fruchtpresse lebt.

Verglichen mit China ist der deutsche Markt aber noch in der Frühphase, höchstens.

692 Milliarden Dollar Umsatz erreichte der Markt für Liveshopping dort im Jahr 2023, was einem Anteil von knapp einem Drittel des gesamten Online-Einzelhandelsumsatzes entspricht, sagt Damian Maib von Genuine German – einem Unternehmen, das deutsche Firmen beim Aufbau des eigenen Onlinehandels in China unterstützt.

Video- und Liveshopping-Plattformen wie Douyin – die chinesische Version von Tiktok – oder Taobao, die Plattform von Alibaba, zählen zu den erfolgreichsten E-Commerce-Plattformen des Landes. Extrem erfolgreiche Influencer sorgen für Reichweite.

Der bekannteste unter ihnen ist Li Jiaqi, dessen Fähigkeit, Make-up-Produkte auszuprobieren und anzupreisen, ihm den Spitznamen „Lipstick King“ einbrachte. Am Vorverkaufstag des „Double 11“ im Jahr 2023 – das Pendant zum westlichen Black Friday – erreichte Li Jiaqi laut Daub ein Bruttowarenvolumen im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar.

Der "Lipstick King" Li Jiaqi bereitet sich auf einen Livestream vor. Bild: imago images/VCG

Was Li Jiaqui heute in China ist, waren früher in Deutschland Walter Freiwald, Horst Fuchs und Verona Pooth. Geneigte Teleshopping-Zuschauer verfolgte deren Auftritte damals so regelmäßig wie das Aufwachsen des eigenen Enkels.

Statt wie heute per Livechat, Emojis, Herzchen, Daumen hoch, Daumen runter, interagierte das Publikum damals noch per Telefonhörer. Und während heute die impulsgetriebenen Generationen Z und Alpha auf Plattformen wie Tiktok, Zalando und Co. kaufen, verkauften früher Anbieter wie QVC, Home Shopping Europe und andere zumeist an die Hausfrau auf dem Land.

Aufgang und Niedergang des Teleshoppings in Deutschland











Seine Ursprünge hat Teleshopping jedenfalls in den USA. Das Format wurde 1977 im Bundesstaat Florida geboren. Paradoxerweise nicht im Fernsehen, sondern im Radio. Ein Werbekunde eines Radiosenders ist damals pleite, kann seine Forderungen nicht mehr begleichen.

Der Werbende bietet deshalb seine Restware gegenüber dem Radiosender an, um einen Teil seiner Schulden zu tilgen. Der Radiosender wiederum verkauft die Ware live auf Sendung – mit großem Erfolg. Das Produkt, die Darbietung im Radio begeistern die Kundschaft, die Absatzzahlen sind grandios. Das Konzept Teleshopping ist geboren.

Mehr: Teleshopping 2.0: Live-Videos werden zur neuen Umsatzmaschine im E-Commerce

In Deutschland etablieren sich mit Home Shopping Europe und QVC die ersten reinen Teleshoppingkanäle um das Jahr 1995. Die Show entpuppt sich für die Zuschauer als eine Alternative zur Stadtbummelei – und für die Unternehmen als Ertragsperle. Die Kunden sind vor allem Frauen, zumeist ab 60 Jahre. Das zeigt sich auch im damaligen Sortiment: Schmuck, Bekleidung, Waren im Bereich Gesundheit und Schönheit.

Über die Jahre steigt die Sendezeit kontinuierlich, von acht Stunden 1996 auf 24 Stunden Dauerbeschallung im Jahr 2004. Und auch der Umsatz schnellt raketenartig nach oben: QVC konnte ihn zwischen 1997 und 2004 von elf Millionen auf 517 Millionen Euro um das 46-Fache steigern. Zahlreiche Anbieter drängen auf den Markt, nicht alle überleben.

„Mit dem Aufkommen von E-Commerce hatte Teleshopping dann einen harten Stand“, sagt E-Commerce-Expertin Constanze Freienstein von der Unternehmensberatung AlixPartners, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Tim Thiele für ein Interview zugeschaltet ist. Zwischen 2005 und 2010, mit dem Start von Social Media, sei eine Konsolidierungswelle Teleshopping eingetreten, tradierte Anbieter gingen bankrott.

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Die Wiederauferstehung











Die großen Teleshopping-Dinosaurier QVC und HSE und andere sind auch in der Gegenwart noch erfolgreich. Sie „arbeiten an einer optimierten Kostenbasis und neuen Vertriebswegen“, sagt Freienstein.

Das Geschäftsmodell sei an die digitale Welt angepasst, etwa dadurch, dass die Anbieter als fest installierte App auf den Bildschirmen der Konsumenten präsent sind – neben Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime, neben den Mediatheken.

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Und sie haben eine treue Kundschaft, die zumeist fortgeschrittenen Alters ist, in den ländlichen Gebieten lebt, fern von der Großstadt-Bubble, fern von den Einkaufszentren – und den Anbietern auch noch heute die Umsätze sichert.

Der Markt in China explodiert – und OTTO und Co. springen auf den Trend auf











Das ist die eine Erfolgsgeschichte des Teleshoppings 2.0. Die andere erzählt eben von der Generation Tiktok, die impulsgetrieben von einem Reiz zum nächsten hastet, von einem Produkt zum anderen den Bildschirm herunterrollt – und sich damit perfekt für das Konzept Teleshopping eignet.

Aber was geht in Deutschland? Deutschland ist jedenfalls nicht China, und Ross Antony mehr Dschungelkönig als „Lipstick King“. Eine Umfrage der Managementberatung Simon-Kucher & Partners zeigt, dass nur acht Prozent der Deutschen Live-Shopping erlebt haben. „Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben findet in China über die digitalen Geräte statt“, sagt Tim Thiele von AlixPartners.

China sei eine „Mobile-first-Gesellschaft“, die Deutschen zeigten im Vergleich große Hemmungen, mit dem Smartphone zu shoppen, tradierte Verkaufskanäle – das Fernsehen, die Innenstädte – hätten vergleichsweise immer noch eine große Bedeutung. Die Distanzen zwischen Stadt und Land seien außerdem nicht mit denen im Reich der Mitte vergleichbar, sagt Thiele.

Und dennoch: Was in China heute schon Realität ist, wird auch hierzulande das Einkaufsverhalten der Zukunft bestimmen, das bekommen viele deutsche Unternehmen schon heute zu spüren. Während etwa die chinesische App Temu in Deutschland wächst und wächst, kämpfen Anbieter wie Zalando mit sinkenden Kundenzahlen. Temu setzt – ähnlich wie Liveshopping-Formate – stark auf Entertainment, Rabatte und Spontankäufe.

Zalando startete wohl auch wegen dieser erstarkenden Konkurrenz aus Fernost vor Kurzem mit regelmässigen Beauty-Live-Shows, „in Europa ist das Interesse an Liveshopping groß und wächst weiter, vor allem bei der Generation Z“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit.

Mehr: So will Zalando sich neu erfinden

Otto geht aktuell für einzelne Events live auf Sendung, je nach Nachfrage. Unlängst gab es ein Event mit Adidas, „direkt vom Kiez“, erzählt Heinemann, mit zwei bekannten Tiktok-Influencern, die der Sportartikelhersteller für die Verkaufsshow bei Otto gebucht hat. Der Konzern sieht in Teleshopping Zukunft. „Mein Traum wäre es, wenn wir 24 Stunden auf Sendung sind“, sagt Heinemann.

Douglas sei erfolgreich mit Liveshopping, sagt Tim Thiele, das Unternhehmen habe verstanden, worauf es beim Thema Teleshopping 2.0 ankomme: regelmäßige, qualitativ hochwertige Formate, gepaart mit Influencern.

Tiktok Shop startet in den USA – und kommt bald nach Deutschland











Insgesamt sind Experten aber skeptisch, was die Zukunft der deutschen Unternehmen beim Teleshopping 2.0 betrifft. Der Grund für den Zweifel ist die marktmächtige Konkurrenz, allen voran der chinesische Mutterkonzern Bytedance mit seinem Angebot „Tiktok Shop“, das zurzeit noch nicht in Deutschland, nur in China, den USA und Südostasien verfügbar ist.

Die Betonung liegt allerdings auf zurzeit.

Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg wollte Tiktok Shop bereits im Juli dieses Jahres in Deutschland starten – aber auch in Italien, Frankreich und Irland. Tiktok hat die Markteinführung mittlerweile zwar verschoben; weil das Unternehmen befürchtet, dass eine Expansion regulatorische Maßnahmen des europäischen Gesetzgebers nach sich ziehen könnte – ähnlich wie in den USA.

Dort hat der Kongress einem Gesetzentwurf zugestimmt, wonach Tiktok in den USA verboten werden soll, falls Bytedance Tiktok nicht an ein amerikanisches Unternehmen verkaufen sollte. Bytedance hat gegen das Gesetz Klage eingelegt.

Und dennoch:

Tiktok Shop wird sich in Europa etablieren

Constanze Freienstein

Bytedance baut gerade Personal im deutschen Headquarter des Konzerns in München auf trotz des verzögerten Starts, wie sich aus Stellenanzeigen ergibt. Auch die Logistik für den Vertrieb der Produkte baue Bytedance gerade in Deutschland auf, sagt ein Brancheninsider.

Mehr: Tiktok wehrt sich gegen drohendes Verbot und fordert Beweise

Für die deutschen Anbieter sei Liveshopping erst einmal ein Experiment mit offenem Ausgang, sagt Constanze Freienstein. Sobald Tiktok Shop hierzulande verfügbar ist, wollen die deutschen Anbieter vorbereitet sein.

Denn Tiktok habe einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber den deutschen Anbietern: die „höchst impulsive Käuferschicht“ sei bereits auf der Plattform, millionenfache Kunden, die täglich Stunden auf der App die Zerstreuung suchen. Potenzielle Kunden eben, die gar nicht wissen, dass sie kaufen wollen, bis sie einschalten. Ganz wie in den 90ern.

Text: Jan Lutz, Redigatur: Sven Prange, Storytelling: Tobias Böhnke

Bildnachweise Hintergründe (in dieser Reihenfolge): WS Teleshop, QVC PR (2 und 3), Reuters (4 und 5)

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