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Peak Oil

Wie Olivenöl zum Luxus wird















Ernteausfälle bis zu 50 Prozent und Preissteigerungen von 264 Prozent wirbeln den Markt für Olivenöl durcheinander. Drei Probleme setzen dem Lieblingsöl vieler Deutscher zu – auf Verbraucher kommen harte Zeiten zu.



















In Castiglion Fibocchi ist die Welt des Olivenöls noch so, wie sie sich Millionen Deutsche ausmalen. Zwischen Florenz und Arezzo in der italienischen Toskana gelegen, pflegt hier die Fattoria La Vialla das Bild einer italienischen Lebensart, idyllischer als jedes Klischee.

Olivenbäume wachsen an Hängen, auf benachbarten Feldern gedeiht Gemüse, weiden Schafe oder reift Wein. Sind die Oliven bereit für die Ernte, geschieht dies durch Handarbeit, wie es seit Generationen üblich ist. „Das hat auch mit der biodynamischen Kreislaufwirtschaft zu tun, die wir umsetzen“, sagt Annette Müller, die Kommunikationschefin des toskanischen Familienunternehmens. Ein Bauernhof, wie er früher die Regel war und der heute in einer Nische biozertifiziertes Olivenöl produziert, das in Deutschland im oberen Preissegment über Direktvertrieb verkauft wird.

Olivenernte in Italien. Foto: E+/Getty Images

Ein Großteil deutscher Olivenölverbraucher stellt sich so die Produktion des grünen Golds aus dem Mittelmeerraum vor. Aber nur eine Minderheit ist bereit, den anfallenden Preis von um die 25 Euro den Liter dafür zu bezahlen. Der Großteil der 80 Millionen Liter Olivenöl, die in Deutschland jährlich verkauft werden, wird für zwölf Euro den Liter im Supermarkt gehandelt. Und stammt deswegen aus einer Landwirtschaft, die mit den Bildern von La Vialla wenig tun hat.

Der Olivenöl-Markt steckt in der Krise

Denn um die Preise halten zu können, wachsen die meisten Oliven in großen Plantagen. Dort bearbeiten Landarbeiter mit Maschinen die Bäume, die über viele Hektar Baum an Baum in Monokulturen stehen. In der italienischen Hauptanbauregion Apulien, noch mehr aber in den größeren Produktionsländern Spanien und Griechenland, ist dieses Bild die dominierende Betriebsform.

Doch auch diese Welt gerät in die Krise. Die Monokulturen sind für eine Reihe von Problemen anfällig, die sich in den vergangenen Jahren in den Mittelmeerländern auftun: Krankheiten, vor allem aber der Klimawandel stürzen den Markt für Olivenöl deswegen in Turbulenzen wie seit Jahrzehnten nicht. Mit Folgen von der Produktion bis zum Verbraucher.

Die Stiftung Warentest konstatiert in ihrem Test von Ende März: „Schlechtere Gesamtqualität zu deutlich höheren Preisen – das ist das ernüchternde Ergebnis des aktuellen Olivenöl-Tests.“ Nur zwei von 19 getesteten Öle der Güteklasse nativ extra erhielten die Note gut, sechs sind mangelhaft.

So stark der Wunsch nach einem Lebensmittel aus einer heilen Welt auch ist, so wenig hat er mit den wahren Gegebenheiten des europäischen Marktes für Olivenöl zu tun.

Die Bedrohung

Ein Bakterium, Insektenplagen und radikal veränderte Wetterbedingungen haben viele ehemals grüne Olivenregionen in Brachland verwandelt.



















Wie groß die Verwerfungen in den Anbauländern sind, zeigt ein Blick aus dem Weltall auf Apulien. Der Absatz des italienischen Stiefels ist die Hauptanbauregion für Oliven in dem Land. Noch vor Jahren dominierte das Grün alter Olivenbäume die Szenerie.

Dann entdeckte ein Bakterium namens Xylella fastidiosa, dass es in den monotonen Anbauflächen der großen Betriebe leichtes Spiel hat. Es begann, sich durch die Olivenplantagen zu fressen. Bäume, die einmal von dem Bakterium befallen sind, sterben ab.

Drohnenaufnahme einer Olivenplantage. Foto: E+/Getty Images

Weil das Bakterium zudem als hochansteckend und nur schwer ausrottbar gilt, wurden auf Geheiß italienischer Behörden Bestände mit nur einem befallenen Baum in den vergangenen Jahren komplett gerodet.

Seitdem dominiert das Braun der Brachen an vielen Stellen die apulischen Olivenölgegenden.

Schädlinge senken die Qualität des Olivenöls

Das Bakterium aber ist nur eine von drei Seuchen, die derzeit über die Olivenregionen des Mittelmeerraums ziehen und den Anbau wohl für immer verändern.

In Monokulturen breitet sich etwa auch die Olivenbaumfliege stark aus. Die von ihr beschädigten Früchte eignen sich nicht mehr für die höchste Qualitätsstufe von Olivenöl, dem Extra Vergine. Befallene Früchte dienen also nur noch der Produktion minderwertiger Öle oder fallen ganz aus.

Gewitter und Hagel zerstörten ein Olivenfeld auf Kreta, Griechenland. Foto: Fotopicture alliance / ANE / Eurokinissi

Dramatischer als die beiden Schädlinge sind allerdings die Wetterbedingungen in den Anbauregionen. Zu wenig Regen in langen Hitzeperioden, zu viel Wasser bei Unwettern und Hagel sowie Spätfröste, die die Blüten zerstören, gehören seit Jahren zum Alltag im Mittelmeerraum. Der Klimawandel wirkt sich hier schon jetzt voll aus und erschwert den Anbau von Oliven.

Die Olivenernten fallen mager aus

All das zusammengenommen führt dazu, dass die letzte Erntesaison in etwa nur noch halb so viele Oliven in Europa einbrachte, als es über Jahre üblich war. Griechenland etwa meldete im Februar die Halbierung der erwarteten Menge an Olivenöl an die EU, die in umfangreichen Statistiken die Entwicklung festhält.

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Der türkische Oliven- und Olivenölverband Taris meldete einen durchschnittlichen Ertragsverlust pro Baum von 55,7 Prozent für die Ernte 2023/24.

Bisher glichen große Produzenten, die eher günstige Öle anbieten, solche Schwankungen durch eine Risikoverteilung aus: In vielen günstigen Discounter-Ölen sind heute Oliven aus verschiedenen Herkunftsländern der EU, manchmal auch außerhalb der EU, vermengt.

Das erleichtert in schwierigen Jahren, Preis und Menge zu halten. Ist in Spanien die Ernte knapp, nimmt man eben mehr griechisches oder türkisches Öl.

Nur: Da mittlerweile alle europäischen Mittelmeerländer von einer oder mehrerer der drei Seuchen betroffen sind, funktioniert diese sehr wortwörtliche Form der Mischkalkulation nicht mehr.



Die Kosten

Die Preise für Olivenöl aus der Mittelmeer-Region steigen drastisch an. Die Kunden schauen sich bereits nach günstigeren Alternativen um.



















Früher waren die kleinteiligen Familienbetriebe der Mittelmeerländer oft gezwungen, neben dem Öl für die eigene Familie den Rest zu niedrigen Preisen an große Unternehmen zu verkaufen. Diese diktierten ihnen die Preise, zum Leben blieb da nicht viel übrig.

„Der Markt hat sich gedreht“, sagt Conrad Bölicke von dem Wilstedter Unternehmen Artefakt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet Artefakt mit Produzenten in Italien, Spanien und Griechenland, die den Kunden vorgestellt werden und sich bestimmten Qualitätskriterien verpflichten.

In Kooperativen in ganz Europa geraten die Lieferanten nun in eine deutlich stärkere Verhandlungsposition, die sie auch nutzen.

Olivenöl wird Luxusgut

Nicht immer gelänge es den Vorsitzenden der Kooperativen, die Forderungen der eigenen Mitglieder so in Grenzen zu halten, dass die steigenden Preise nicht an die Großhändler und am Ende den Verbraucher weitergegeben werden könnten, sagt Experte Bölicke.

So kostete Heizöl in Deutschland im Februar 2024 etwa 0,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Der türkische Verband Taris hat die Preissteigerung für Tafeloliven dagegen auf 264 Prozent gegenüber dem Vorjahr beziffert.

Da die Preise für Oliven sich in den anderen Anbauländern, wenn auch nicht so extrem, so doch in die gleiche Richtung entwickeln, steigen auch die Preise für Olivenöl:

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Im Vergleich zum Vorjahr ist der Preis für griechisches Olivenöl zum Beispiel um 82 Prozent gestiegen.

Das hat Auswirkungen auf Verbraucherinnen und Verbraucher. In Italien etwa war Olivenöl lange das Alltagsöl der meisten Familien. Jetzt seien die Preise so hoch, dass es im Alltag andere Öle bräuchte. Olivenöl wird zum Luxusgut.

Auch in Deutschland hat das Olivenöl in den vergangenen Jahrzehnten einen echten Siegeszug hingelegt: Wer immer in seiner Küche Paprika oder Zucchini andünsten, einen Tomatensalat anmachen oder einfach nur ein wenig frisches Weißbrot als Aperitif stippen will, greift zum grünen Gold des Mittelmeerraums. Das jahrtausendealte Image des Olivenöls als besonderes Produkt, gut zur Pflege von Haut und Magen, schlug auch hier durch.

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Dem schlechten Ruf seiner festen Verwandten, Schmierfetten wie Butter, Schmalz und später Margarine wich es erfolgreich aus. Insbesondere Italien und dort die Toskana stehen für den Traum vom Dolce Vita in Öl. Möglichst Extra Vergine, also kalt gepresst und frisch, sodass es brennt im Hals.

Nun aber verdirbt auch in Deutschland die Olivenkrise den Appetit. Die Preise stiegen 2020 im Vergleich zu 2015 um elf Prozent, in Jahr 2023 betrug die Preissteigerung hingegen 43 Prozent gegenüber 2015. Die Zeiten, in denen ein einfaches Olivenöl Extra Vergine für zehn Euro den Liter zu haben war, sind endgültig vorbei. Und sie kommen laut Bölicke auch nicht mehr wieder. Handelsunternehmen wie Aldi Süd möchten sich „als Grundversorger“ zur Preisentwicklung nicht äußern.

Aber im Feinkostregal scheint Peak Oil erreicht. Der Konsum der Deutschen sinkt bereits.



Die Alternativen

In den europäischen Produzentenländern rächt sich nun, dass hier kaum Innovationen vorangetrieben wurden. Es gibt entweder idyllische Kleinbetriebe, die kaum in der Lage sind, den großen Markt zu bedienen. Oder anfällige Monokulturen, die von wenig fortschrittlichen Kooperativen betrieben werden. In anderen Teilen der Welt sieht das anders aus.



















Kalifornien, Australien oder Japan mögen bei europäischen Kunden keine romantischen Assoziationen beim Thema Olivenöl hervorrufen – sie stellen aber sehr wohl Olivenöl her, und das womöglich zukunftssicherer.

Produzenten aus diesen Weltgegenden setzen zwar auch schon seit Jahren auf große Plantagen mit maschineller Bearbeitung. Sie haben sich allerdings von Beginn an auch mit intelligenten Pflanzenschutz- und Bewässerungssystemen beschäftigt.

Dosen mit Oliven der Marke IGA in Goodlettsville, Tennessee, USA. Foto: Bloomberg/Getty Images

Auch in der Verarbeitung setzen sie auf Technologien, die zwar mit Kühlung der Oliven und Traktorenernte weniger idyllisch wirken, dafür aber die wichtigen Parameter für Olivenöl positiv beeinflussen. Rasche Verarbeitung unter Ausschluss von Sauerstoff ist ein Weg, der weit weg von steinernen Mühlrädern verläuft.

Noch allerdings ist der Anteil des Olivenöls, der außerhalb der EU produziert wird, lediglich die Hälfte des Weltmarkts.

Und auch mehr Olivenöl aus Übersee wird einen Trend nicht mehr umkehren: Australisches oder japanisches Olivenöl ist schon heute teurer als der Durchschnitt im deutschen Supermarkt. Zuverlässige Qualität hat eben ihren Preis. Den hatte sie allerdings auch schon immer.

Text: Thorsten Firlus; Storytelling: Tobias Böhnke; Bildredaktion: Stefan Hirsch, Iris Zielinski

Dieser Artikel ist Teil des Handelsblatt-Wochenendprogramms. Alle Beiträge finden Sie hier.

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